Predigt am Fest des Hl. Stephanus 2014

Lesung: Apg 6, 8-10; 7, 54-60 / Evangelium: Mt 10, 17-22
Schwestern und Brüder!
Die rote Farbe der Liturgie sagt uns heute: Es fließt Blut. Kaum ist der Gesang der Engel in der Weihnachtsnacht verklungen, da schreit und krümmt sich der erste Märtyrer, weil Steine auf ihn fliegen. Schon relativ früh hat die Kirche das Fest des Stephanus auf diesen Tag gelegt, wie wenn sie uns damit sagen wollte: Christsein hat Konsequenzen, im äußersten Falle sogar tödliche Konsequenzen. Sicherlich: In unseren Regionen fliegen keine Steine gegen Christen – wohl aber vermehrt in anderen Teilen dieser Welt. Denken wir nur an den Mittleren Osten und das islamistische Kalifat, an niedergebrannte christliche Dörfer und Kirchen in Nordnigeria, in Indien und Indonesien, an enthauptete Männer und gesteinigte Frauen, die uns einen religiösen Irrsinn im 21. Jahrhundert vor Augen führen, den wir längst überwunden glaubten.
So gilt bis heute: man kann Weihnachten, man kann sich dem kleinen Kind in der Krippe nähern, aber man muss eben auch darum wissen, in wessen Nähe man da wirklich gerät. Es ist der Mensch gewordenen Gottessohn, der seinen Weg ging von der Krippe ans Kreuz. Die Nähe zu ihm bedeutet deshalb immer auch: Widrigkeiten, Anfechtungen, vielleicht sogar Leid und Tod um seiner Botschaft willen zu akzeptieren. Das heißt dann aber auch: Wir müssen das Kind in der Krippe aus aller weihnachtlichen Betulichkeit und Beschaulichkeit wieder herausnehmen und es dort aufsuchen, wo es von Gott aus seinen Platz hat: Nämlich in allen Krippen dieser Welt, in den Elendsquartieren, den Hungergebieten, den vielen verfolgten Menschen – ob religiös oder politisch – bei den mundtot Gemachten, den Gequälten und in ihren Menschenrechten Verletzten unserer Zeit.
Aber schauen wir auf Stephanus. Was ist da eigentlich passiert? Er war ja
Jude und Christ zugleich. Er wagte den kritischen Spagat zwischen den alten jüdischen Traditionen, der aufblühenden christlichen Religion und der Kultur seiner griechischen Herkunft. Das brachte ihm natürlich Konflikte und Anfeindungen ein. Dabei dürfte es vor allem um die Frage gegangen sein, in wieweit die Bestimmungen des jüdischen Gesetzes für den christlichen Glauben verbindlich sind; wie streng oder auch wie liberal sie auszulegen seien. Es ging dabei vor allem um Reinigungs- und Speisevorschriften, die Sabbatruhe und vieles andere mehr.
Stephanus, der sich als Diakon nicht nur auf die Armenfürsorge beschränkt, scheut diesbezüglich die Auseinandersetzung mit dem religiösen Establishment nicht. Er kritisiert die Praxis derer, die für den Tempel und damit für die Religion verantwortlich waren. Ihm war bewusst, so mancher Verantwortliche missbraucht hier seine Positionen, zur Zementierung und Bereicherung eigener Machtansprüche. Der Hohe Rat und die von Stephanus so Gescholtenen betrachteten wiederum die christliche Urgemeinde mit Argwohn. Dass nun aber diese „liberalen“ griechischen Diaspora-Juden, die sich um Stephanus herum formiert hatten, im Namen Jesu ganze Teile des jüdischen Gesetzes nicht mehr für gültig hielten, das ging ihnen doch entschieden zu weit. Das war in ihren Augen ein Angriff auf das jüdische Selbstverständnis. Und als Stephanus dann auch noch von sich gab: „Ihr Halsstarrigen mit verstockten Herzen und tauben Ohren, ihr widerstrebt allzeit dem Heiligen Geist – wie eure Väter so auch ihr!“ – als sie das hören mussten, da sahen sie nur noch rot. Blut musste fließen. Das war Blasphemie und Gotteslästerung, was Stephanus von sich gab. Und nachdem in der Tora steht, dass Gotteslästerung mit dem Tod durch Steinigung zu bestrafen ist, stürzen sie auf ihn los – um nicht nur ihn, sondern das junge Christentum für immer mundtot zu machen.
Die Ähnlichkeiten zwischen Jesus und Stephanus sind für mich unüberseh-
bar. Alles was er denkt und tut, wie er stirbt – das erinnert auch an Jesus. Was mich aber am meisten erschreckt, das ist die Gewalt im Namen der Religion. Stephanus wird gesteinigt, weil er ein anderes Bekenntnis hat und seine Umgebung ist nicht bereit, diesen Perspektivenwechsel seines Glaubens zu respektieren. Und ein Blick in die Geschichte genügt um zu zeigen, wie oft im Namen Gottes Unheil über die Menschen gebracht wurde. Im Namen des liebenden Gottes wurde gemordet und gebrannt, geraubt und geplündert, vergewaltigt und zerstört. Ja, im Namen dieses Gottes wurden ganze Völker vernichtet. Heilige Kriege und Kreuzzüge sind in fast allen Religionen bekannt. Und auch Kirchenführer haben sich oft genug davon verführen lassen, den Namen Gottes in ihrem eigenen Sinne zu missbrauchen. Ein Problem, das wohl bis auf den heutigen Tag existent zu sein scheint – nicht nur in anderen Religionen wie dem Islam und dem Hinduismus, wenn man die harsche 15-Punkte-Kritik von Papst Franziskus an seinen Kurienmitarbeitern am diesjährigen Weihnachtsfest hört. Bis auf den heutigen Tag geht es auch in dieser, unserer Kirche häufig nur um eigene Macht, oder auch um wirtschaftliche oder politische Interessen, denen dann für das einfache Volk ein religiöses Mäntelchen umgehängt wurde und wird.
Du sollst den Namen Gottes ehren. Dieses zentrale Gebot meint doch wohl, dass Menschen sich nicht anmaßen dürfen, im Namen Gottes Gewalt auszuüben. Der Name Gottes ist sozusagen das Korrektiv all unserer vernichtenden Urteile. Wo nämlich die Achtung vor dem Namen Gottes in der Geschichte nicht respektiert wurde, da kam es immer zu unmenschlicher Gewalt. Ohne Respekt vor dem Heiligen gibt es eben auch keine Würde des Menschen mehr. Besonders schizophren ist, dass ausgerechnet der Sohn Gottes im Namen Gottes hingerichtet wurde. Damit ist aber ein für alle Mal klar: Jede Gewalt im Namen Gottes wird zum Sakrileg. Es gibt keinen „heiligen Krieg“ – nur der Friede ist heilig! Und doch haben sich das Schicksal Jesu und das Schicksal des Stephanus vielfach wiederholt. Immer wieder wurden und werden Menschen um ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung willen hingerichtet, gefoltert, vertrieben und zu Märtyrern gemacht.
So lädt dieser Stephans-Tag uns alle ein, den Weihnachtsfrieden in unseren Alltag zu übersetzen. Diesen Frieden wird es nur dann geben, wenn wir Gott die Ehre erweisen und sein Ebenbild, den Menschen achten. Wenn wir jeden Menschen respektieren, egal welche Hautfarbe er hat und welcher Kultur oder Religion er angehört. Im Blick auf Stephanus müssen wir uns sicherlich nicht zu Heroen machen und uns dabei ständig überfordern. Aber wir könnten zum Beispiel einfach damit anfangen uns zu informieren, wo Christen und andere Religionsangehörige heute verfolgt und misshandelt werden, vertrieben und unterdrückt werden. Wir können Petitionen von Organisationen unterschreiben, die sich mutig für Menschenrechte und Religionsfreiheit einsetzen und das Feld diesbezüglich nicht nur unseren Politikern oder Möchtegern-Politikern überlassen. Wir können auf diese einwirken, dass sie sich mit uns gemeinsam für Menschen einsetzen, die in Ländern ohne Religionsfreiheit zum Tode verurteilt worden sind – wie zum Beispiel die Christin Asia Bibi, wie wegen angeblicher Gotteslästerung in Pakistan hingerichtet werden soll. Ich würde mir wünschen, dass die hohe Politik hier mal genauso „schwere Geschütze“ auffährt in Form von Sanktionen und Embargo, wie im Osten Europas – oder wird hier zwecks wirtschaftlicher und militärischer Interessen mit zweierlei Maß gemessen? Doch wir leben in einer Demokratie und wir können uns zu Wort melden. Ich glaube, das ist unser Auftrag aus dem heutigen Fest: dass wir in unserem Alltag Mechanismen von Gewalt aufspüren, Vorurteile und Klischees entlarven und dann und wann mal unseren Mund aufmachen.
Beten wir – wie Stephanus – für die Menschen, die anderen Unrecht tun.
Aber fragen wir uns auch: Wo schweigen wir lieber, auch in dieser, unserer Kirche, wenn es doch vielmehr angesagt wäre, Farbe zu bekennen wie Stephanus?

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