Predigt zum 1. Adventssonntag 2014 (30.11.)

L II: 1 Kor 1, 3-9 / Ev.: Mk 13, 24-37
Schwestern und Brüder!
„Eigentlich möchte ich nicht, dass Jesus am 24. Dezember 2014 kommt“, so las ich unlängst in einem Artikel. Und dieser fuhr dann mit den Worten fort: „Das Baby Jesus darf schon kommen, darauf freue ich mich. Aber der erwachsene Jesus, der Jesus, der die Endzeit einläutet, der soll nicht kommen. Denn stellen Sie sich mal vor: In vier Wochen wäre das soweit. Da reicht es doch schon, dass das Fest kommt und ich mit dem Herrichten und Einkaufen kaum nachkomme. Aber wenn das Ende der Welt anbricht – oder mein ganz persönliches Ende – ja was dann?“
Ja, was denn dann? Diese Frage ist durchaus mehr als berechtigt. Denn
in unsere ganz persönliche Adventsidylle, die mit dem heutigen Tag so richtig Fahrt aufnimmt, bringt der Evangelist Markus diesen endzeitlichen „Knaller“ in seinem Evangelium. Advent – für uns häufig nur die äußere Vorbereitung auf das jährlich wiederkehrende Geburtstagsfest Jesu. So wie wir eben auch jedes Jahr Geburtstag feiern. Dass aber der Advent – wenn man ihn eben nicht nur rein äußerlich und gemütlich betrachtet – etwas mit dem Ende der Welt bzw. mit unserem ganz persönlichen Ende zu tun hat, das verdrängen wir recht gerne oder nehmen es zumindest nicht bewusst in unser Blickfeld. Mir ist das neu aufgegangen durch den Film „HALT auf freier Strecke“. Der hat mir nämlich, als ich ihn im Mai auf Arte gesehen habe, mitten im prächtigen deutschen Frühling diese andere Bedeutung des Advents drastisch vor Augen geführt, so drastisch, dass ich mir gleich einen Vermerk in meinen Kalender machte: Predigtgedanken zum 1. Advent.
Hier wird nämlich von einem Kampf erzählt, der tausendfach gekämpft, und stets allein verloren wird. „Halt auf freier Strecke“ handelt vom Sterben im Hightech-Zeitalter, davon wie es ist, wenn quasi mitten im blühenden Leben der ganz persönliche Advent anbricht. Wer die Möglichkeit hat sich diesen Film anzusehen, sollte ihn sich genauso zumuten, wie die Kirche uns eben alljährlich am 1. Advent schonungslos die Botschaft vom Ende zumutet. Ich weiß: es ist jedes Jahr eine kalte Dusche für uns und vor allem für jene, die in diesen Tagen mit ganz gemütvollen Erwartungen in die Vorweihnachtszeit starten und sich dazu ein wenig „Wohlfühlatmosphäre“ gerade von der Kirche erhoffen. Aber es hilft alles nichts: Es muss zunächst ungemütlich werden, damit wir zu jener adventlichen Hoffnung und auch jenem Trost vordringen, den der Apostel Paulus in der Lesung deutlich gemacht hat: „ER – also Gott selbst – wird euch festigen bis ans Ende…denn: Treu ist dieser Gott, durch den ihr berufen worden seid zur ewigen Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus.“
Nun heißt ja Advent bekanntlich „Ankunft“ – und es ist durchaus richtig, dass es hier um eine Ankunft im zweifachen Sinne geht: Einmal um die historische, heilsgeschichtliche Ankunft Gottes in der Menschwerdung des Jesus von Nazareth, die wir an Weihnachten feiern – also sein Geburtstag vor knapp zweitausend Jahren. Aber es geht eben auch um den Advent als Ankunft Christi am Ende der Zeiten, von der im heutigen Evangelium die Rede ist. Erst wenn wir die Botschaft vom Ende der Welt, aber auch vom Ende unseres je eigenen Lebens als Botschaft von der „Voll-endung“ verstehen lernen und nicht nur von einer „Ver-endung“, ich glaube erst dann können wir auch das Sterben und den Tod eines jeden Christenmenschen adventlich deuten: Gott will und er wird mein irdisches Ende zum Anfang eines neuen Lebens machen. Der Tod also als Advent, als endgültige Ankunft Gottes in mir und meinem Sterben. Das freilich ist für viele zunächst eine ganz ungewohnte Deutung des Advents und vor allem eine ungemütliche Auskunft. Deshalb komme ich jetzt auf den Film zurück „Halt auf freier Strecke“. Worum geht es hier genau? „Die Zeit“ hat ihrer Filmkritik über diesen Film die Überschrift gegeben: „Ein Mann geht vor die Hunde“ und beschreibt dann mit eindringlichen Worten:
„Wann werden wir sterben? Morgen oder übermorgen oder erst in 30 Jahren? Nichts ist gewisser als der Tod und doch nichts ungewisser als die Todesstunde. Das ist unser Glück. Denn sonst liefe das Leben ja geradewegs auf einen toten Punkt zu, wäre das Ende absehbar. Deshalb fürchtet sich zum Beispiel alle Welt vor einer Krebsdiagnose beim Arzt, weil das oft unsere latente Todesangst entsichert. Wie man diese aber aushält – oder auch nicht, davon handelt dieser Film.“
Es geht um einen Ehemann und Vater, bei dem ein bösartiger, inoperabler Gehirntumor diagnostiziert wird. Was sagt man denn, wenn man sterben muss? Und wie stirbt man richtig? Darin besteht die grandiose Ehrlichkeit dieses Films: Nämlich zuzugeben, dass man in einem solchen Fall nichts, aber auch gar nichts richtig machen kann. Es ist eine ernüchternde Auskunft auch für den Fall, dass ein Christ darum ringt, von Herzen daran glauben zu können, dass sich auch in einem noch so bitteren und hilflosen Sterben – der Advent, die endgültige Ankunft Gottes ereignen wird – und zwar zu meiner Vollendung. Ja, so ist das, wenn der Zug auf freier Strecke hält. Deshalb der Titel. Der Regisseur sagt, er wollte zeigen, was passiert, wenn man in voller Fahrt gestoppt wird und in eine unbekannte Landschaft der Gefühle aussteigen muss. Der kranke Mann und Vater stolpert durch alle Zustände von Angst, Zorn, Scham und Einsamkeit. Seine Familie marschiert zwar tapfer mit, versucht ihn festzuhalten und aufzumuntern, aber er entfernt sich ihnen unaufhaltsam. Und das Schlimme ist: Sie wissen, dass sie am Ende mit dem Zug des Lebens weiterfahren und er auf der Strecke bleibt.
Was wissen wir – und was glauben wir? Was sollten wir besser wissen, besser machen, wenn es an uns ist? Wenn wir auf halber oder auch auf freier Strecke nicht nur aufgehalten werden, sondern aushalten müssen, was uns da bevorsteht? Was weiß die Bibel, was weiß der adventliche Glaube der Kirche über unser Ende, auch über das Ende der Geschichte, sprich: das Ende der Welt? Die Antwort lautet – man höre und staune: Es wird – gegen allen Anschein – ein gutes Ende nehmen. Gott lässt sich nicht das Heft aus der Hand nehmen. In allem Ende wird Vollendung geschehen; in allem Niedergang ereignet sich der Aufgang einer neuen Schöpfung. Ich weiß, das ist wirklich gegen all unsere Erfahrung, gegen allen Anschein, der sich uns tagtäglich bietet. Dieser, unser Alltag, spricht doch eine ganz andere Erfahrung und Realität aus. Blicken wir nur mal in unsere Krankenhäuser und Altenheim. Schauen wir einfach mal auf den unaufhaltsamen Niedergang unserer christlichen Kultur in vielen Teilen Europas und unserer Gesellschaft; nehmen wir mal den Zersetzungsprozess von Moral und auch menschlichen Werten in den Blick, wenn wir an die junge Studentin denken, die in den Hirntod geprügelt wurde; schauen wir aber nicht nur auf diese wachsende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft, sondern auch in der internationalen Politik; auf die Hemmungslosigkeit, mit der sich Korruption, Profitgier und Machtinteressen globalisieren, wenn wir an Mexiko denken oder viele afrikanische Staaten; schauen wir auf die schamlosen Lügen, mit denen man uns in Werbung und gezielter Desinformation über viele wahren Zusammenhänge und Interessen hinwegtäuscht – all das spricht doch viel eher dafür, dass unsere Welt ein böses Ende nehmen wird und „vor die Hunde geht“ oder nicht?
Die Bibel und auch diese endzeitliche Rede Jesu, die uns im Evangelium von Markus geschildert wurde, sie sind gottlob fern von jeder Schönfärberei. Sie kennen das alles auch. Zu allen Zeiten gab es immer wieder Gründe oder Anlässe dafür, dass Menschen in „Weltuntergangsstimmung“ verfallen sind. Nicht erst heute hören wir die apokalyptischen Texte auf dem Hintergrund aktueller Katastrophen und Konflikte. Doch mitten hinein in diese Rede Jesu vom Weltuntergang, wird dieses merkwürdig, gegenläufige und hoffnungsvolle Bild vom Feigenbaum gesteckt: „Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr all das seht, dass das Ende vor der Tür steht.“ Das Ende wird aber seltsamerweise nicht mit dem Winter, sondern mit dem Sommer zusammengebracht. Wie sehr sehnen wir uns genau danach – nach Sonne und Helligkeit, wenn um einen herum alles trüb ist. Genauso wird aber in den einschlägigen Bibeltexten das Ende herbeigesehnt, weil es der Anfang für etwas ganz Neues ist. Und dieses Neue ist so großartig und einzigartig, dass darin all das keinen Platz mehr hat, was jetzt unser Leben oft schwer macht oder was uns Angst bereitet. Das ist unsere adventliche Hoffnung, von der wir nicht lassen sollten und von der wir nicht lassen dürfen. Denn diese adventliche Hoffnung, die trägt das Fest in sich, das unser Christentum begründet hat – Ostern selbst. Weihnachten ohne den Blick auf Ostern, das aber macht überhaupt keinen Sinn. Amen

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