Predigt zum 4. Advent 2014 (21.12.)

L I: 2 Sam 7, 1-5.8b-12.14a.16 / Ev.: Lk 1, 26-38
Schwestern und Brüder!
Die Tagebuchaufzeichnungen des Schweizer Schriftstellers Max Frisch aus den Jahren 1946-49 beginnen mit folgendem Eintrag: „Gestern unterwegs ins Büro, begegne ich einem Andrang von Leuten. Sie stehen bereits über den Randstein hinaus, mit gestreckten Hälsen; manchmal ein Lachen aus der unsicheren Menge, bis der Gendarm kommt. Er fragt, was geschehen sei, und da wir es auch nicht wissen, keilt er sich in den Haufen hinein. Nicht barsch, aber von Amts wegen entschieden: Das gehe nicht, sagt er mehrmals. Das gehe nicht – wahrscheinlich wegen des Verkehrs.
Und dann: Ein junger Mann steht da, groß und bleich, eher ärmlich, was die Kleidung betrifft, aber kein Bettler. Steht da unbefangen und heiter wie ein Kind. Ein offener Koffer liegt neben ihm und dieser ist, wie man sieht, voller Marionetten. Eine Puppe hat er herausgenommen und hält sie eben an den Fäden so, dass das hölzerne Männlein gerade auf dem Pflaster spazieren kann – unbekümmert bezüglich des Gendarm, der einen Augenblick ratlos scheint: Was soll das?, fragt er – wirklich nicht unfreundlich. Der junge Mann, gar nicht verdutzt, zeigt weiter wie man die einzelnen Gliedmaßen bewegen kann – und, einen Augenblick lang lächelnd, schaut auch der Gendarm zu, der das liebe Gesicht eines Bienenzüchters hat. Dann fragt er aber noch einmal: Was soll das? Der junge Mann, indem er direkt auf die Puppe schaut, lächelt, da jeder die Antwort sehen kann: Jesus Christus! Da aber sagt der Gendarm: Das geht nicht…Hier (!) nicht…Nein, das geht nun wirklich nicht!“
Ein Kind? Noch dazu den Messias? Das geht nun wirklich nicht! Das hätte auch Maria sagen können, als der Engel Gabriel zu ihr kam. „Sie aber erschrak…und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.“ Allzu schnell gehen wir oft davon aus, dass Maria nur darauf gewartet habe, was mit ihr geschehen soll. Aber von wegen! Wer von uns weiß denn wirklich, womit sie damals gerade beschäftigt war? Wir behaupten immer wieder, dass sie allein und im Gebet versunken war. Nur, davon ist in unserem Text nicht die Rede. Ist es also geschmacklos zu fragen, ob der Bote Gottes sie vielleicht gestört, sie unsanft geweckt oder sie bei ihrer täglichen Arbeit unterbrochen hat? Jedenfalls wagt sie es, ihren Einwand und auch ihre Zweifel zu äußern. „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ In Marias Frage an den Engel zeigt sich ihre ganz natürliche und auch verständliche Besorgnis darüber, was passiert hier eigentlich? Ich fühle mich überfordert mit dem, was Gott mir hier zumutet und was er von mir verlangt. Ist das nicht auch so ein: „Jesus Christus – das geht nicht!“? Nur, das hören wir so nicht von ihr; das kommt nicht über ihre Lippen. Im Gegenteil! Sie sagt vielmehr: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort.“ Und bald, sehr bald wird sich herausstellen, was sie sich mit diesem Ja zum Willen Gottes eingehandelt hat. Sehr bald wird sie erkennen, ja schmerzhaft auch erkennen müssen, dass sie mit ihrem Ja-Wort in etwas hineingezogen wurde, was eben nicht nur hell und schön, sondern auch dunkel und überaus rätselhaft ist. Denn dieses Kind, das sie zur Welt bringen soll, das wird sie schon bald ganz gewaltig mitnehmen; mit hinein in seine eigene Entäußerung und Erniedrigung, in seine Passion von der Krippe zum Kreuz.
Doch kommen wir noch einmal zurück zu Max Frisch und seinen Tagebucheintragungen. Er legt ja durch die Erzählweise seiner Notizen nahe, dass es nicht nur um ein Verbot des Puppenspiels mitten in der Stadt und um eine plötzliche Verkehrsbehinderung geht. Nein, es ist diese Figur, die da plötzlich und unvermittelt in den Mittelpunkt rückt: Jesus Christus. Und so bekommt dieser Einwand des Gendarmen nicht nur für mich, sondern für viele Leserinnen und Leser dieser Notizen quasi eine andere Nuancierung, eine andere Farbe, um nicht zu sagen – eine grundsätzlich andere Bedeutung. Könnte sie nicht auch meinen: Jesus Christus, mitten in der Stadt, mitten unter den Menschen – das geht nicht!? Er stört, weil er die Leute von ihren gewohnten Geschäften und Vorhaben abzuhalten scheint. Er hält den Verkehr auf, er unterbricht die Alltagswelt, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Das geht doch nicht! Oder geht es vielleicht doch?
Wir versuchen in diesen Tagen doch auch diesen gewaltigen Spagat. Da möchte Jesus Christus mitten in unserem Urlaub, mitten in unseren schönen Ausflügen und unserem Aufenthalt hier – oder auch mitten in unserem Weihnachtstrubel, in dem wir uns oft selbst fremd bestimmt und wie an Marionettenfäden gezogen vorkommen – da möchte er doch auch bei jeder und jedem von uns ankommen. Und: Er will uns durch seine Ankunft verändern; will uns menschlicher machen; will uns aus unserer Vereinzelung oder auch unserer Vereinsamung heraus- und als Gemeinde und Gemeinschaft zusammenführen – als Menschen, die wissen, dass das Fest seiner Menschwerdung doch nichts anderes, als unserer eigenen Menschwerdung dienen will. Dass wir mitten im Urlaubstrubel und auch der Betriebsamkeit um uns herum innehalten und bereit werden für das, was Gott mit uns vorhat; was er durch uns wirken und in dieser ach so geschäftigen Welt bewirken will. Das scheint mit schlussendlich die verschlüsselte Botschaft jener Tagebuch-Notiz von Frisch zu sein, auch wenn er sich selbst dessen so vielleicht gar nicht bewusst gewesen ist.
Kennen Sie „La Casa del Si“? Das Haus des Ja? So nennen die Italiener liebevoll die kleine Kuppel der großen Wallfahrtsbasilika von Loreto. Sie soll – der Legende nach – im 13. Jahrhundert aus Steinen des Hauses von Maria und Joseph in Nazareth erbaut worden sein. Engel, so sagt man, hätten die Steine damals in Sicherheit gebracht. Aber ob nun Legende oder nicht: Wichtig ist einzig und allein, dass wir immer wieder daran erinnert werden, dass dieses Ja, welches Maria zu den Plänen Gottes gesprochen hat, auch zu unserem Ja wird. Dass auch wir zu all dem, was Gott mit uns vorhat, was er uns zumutet und was uns vielleicht ab und an auch ein dickes Fragezeichen ins Gesicht schreibt, dass wir da voll Vertrauen JA sagen können im Sinne von: „Mir geschehe nach deinem Wort!“ Ich möchte ein Mensch, ein Christ werden, durch den Gott zur Welt, in meine Welt, in unsere Welt kommen kann. natürlich weiß ich, dass er schon längst da ist; gar keine Frage – aber er ist eben nur dort anwesend und kann dort anwesend sein, wo man ihn einlässt. Und dass uns dieses Ja, diese Anwesenheit Gottes – ähnlich wie Maria – einiges „kosten“ kann, das wissen die meisten von uns und sie mussten es vielleicht schon häufig in ihrem Leben erfahren, vielleicht auch als Zumutung erfahren. Und trotzdem gilt: Es lohnt sich, dieses Ja zu sprechen. Nicht nur in diesen Tagen. Es lohnt sich mit Maria um das Geheimnis ihres Kindes zu wissen – auch für uns selbst. Und sollen dabei noch so viele Denken, wie der Gendarm: „Jesus Christus: Das geht nicht!“ O doch, er geht – und unser JA auch!

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