Ev: Mk 11, 1-10 / L I: Jes 50, 4-7 / Ev: Mk 14, 1 – 15, 47
Schwestern und Brüder!
Ich möchte diese Palsonntagspredigt gerne mit einer Geschichte beginnen: Eine alte Dame entschließt sich, ihr Mittagessen an diesem Tag in einem Schnellrestaurant einzunehmen, das zu einem großen Kaufhaus gehört. Sie stellt sich an der Theke an und bestellt einen Teller Erbsensuppe, bezahlt und trägt das Tablett mit dem Teller zu einem der kleinen Stehtische. Dort bemerkt sie, dass sie vergessen hat, sich einen Löffel mitzunehmen. Sie hängt also ihre Tasche an einen eingelassenen Haken am Tischbein und holt den Löffel. Als sie zurückkommt, sieht sie: Ein Schwarzer steht da an ihrem Tisch und isst ihre Suppe. Die alte Dame überlegt kurz, zieht dann den Teller zur Mitte des Tisches und taucht ihren Löffel hinein. Der andere grinst sie an. Gemeinsam essen sie – schweigend, aber nicht ohne Schalk in den Augen – den Teller leer. Danach sagt er etwas von Coffee, trägt den Teller zur Theke und kehrt mit zwei Tassen an den Stehtisch zurück. Als der Kaffee getrunken ist, verabschiedet er sich mit einem Lächeln und einer kleinen Verbeugung. Kaum ist er im Menschengewimmel verschwunden, da greift sie nach ihrer Tasche. Aber: Die hängt nicht mehr am Haken. Wie kann man nur so blöd sein! sagt sie zu sich selbst. Natürlich hatte er es doch nur auf ihre Tasche abgesehen! Sie überlegt, ob sie ihm hinterherlaufen soll: doch keine Chance. Die Polizei rufen? Die Geschäftsführung informieren? Sie stampft mit dem Fuß auf, dreht sich – wütend auf sich selbst – einmal um die eigene Achse. Aber was ist das? Am nächsten Tisch sieht sie einen unberührten Teller mit Erbsensuppe stehen, und am Tischbein? Da baumelt ihre Handtasche.
Ich habe diese Geschichte mal in einer trauten Runde erzählt und gefragt, wie sie denn reagiert hätten, wenn sich jemand zu ihnen an den Tisch stellen
und mit aus ihrem Teller essen würde. Die Antworten gebe ich jetzt lieber nicht wortwörtlich wieder… Aber man kann zusammenfassend sagen, dass die Reaktionen lange nicht so einladend ausgefallen sind, wie in der Geschichte. Aber mal direkt gefragt: wie hätten denn Sie reagiert?
Sind das jetzt Schubladen, die wir aufmachen? In die wir Menschen und Dinge einsortieren, bewerten? Ich meine, die Dame aus der Geschichte ist ja noch einigermaßen selbstbeherrscht und stellte sich couragiert an den vermeintlich eigenen Suppenteller. Als dann aber ihre Handtasche fehlt, fühlt sie sich in ihrer ersten Wahrnehmung doch bestätigt und wird zornig… Zu Unrecht! Und es löst sich dann ja auch alles anders auf.
Natürlich fragen Sie sich jetzt zu recht, was das denn mit dem Palmsonntag zu tun hat. Da reitet Jesus auf dem Fohlen einer Eselin in Jerusalem ein. Wie ein König, heißt es, aber: wie anders ist dieser König? Oft schon wurde ihm Schlimmes angedroht, wenn er die Gesetze der Juden neu auslegte und neu interpretierte. Was dem jüdischen Volk so heilig war, das Einhalten der Gebote Mose und der vielen Gesetze der Thora, das hat er nicht beiseite gefegt, aber er hat sich auf Gott berufen und Kraft dieser Autorität die Dinge neu geordnet, sie neu beschrieben und gelebt. „Ihr habt gehört…“, so beginnt er allein neun Mal in der Bergpredigt aus dem Gesetz des Mose zu zitieren und sagt dann jedes Mal: „Ich aber sage euch…“ Jesus erklärt also das Heiligste der Juden, die Thora, neu. Doch er stellt sich nicht aus Protest oder Rebellion über das Gesetz, sondern weil er in neues Denken, eine neue Interpretation des Alten bringt.
Doch die Hüter über die Religion waren damit nicht einverstanden. Neue Gedanken bringen ja immer auch Bewegung und Aufruhr, sind unbequem. So erhält Jesus Mordandrohungen. Oft beriet man im Geheimen und manchmal sogar ganz offen darüber, ihn umzubringen, ihn der Gotteslästerung anzuklagen, was nach jüdischem Gesetz ein Todesurteil nach sich zieht. Doch anstatt sich zu verstecken, anstatt im Untergrund zu wirken oder ins Exil zu gehen, reitet er seinen „Feinden“ direkt in die Arme – in Jerusalem.
Nun gibt es in jeder Religion dieser Welt den Appell, Frieden zu schaffen und Frieden zu halten – und doch führen wir Menschen Kriege. Und das immer schon, solange es Menschen gibt. Denn die Geschichte der Menschheit ist zu einem großen Teil eine Geschichte von Zorn und Wut und dessen, was daraus in der Folge entsteht: eine Geschichte von Verletzungen und Verwundungen.
Wenn wir bedenken, wie viel Schreckliches die Zeit des Nationalsozialismus angerichtet hat – auch in den Seelen der Menschen, die diese Zeit gar nicht mehr bewusst erlebt haben, dann ahnen wir wie lang es braucht, bis solche Wunden heilen. Und dann sind da heutzutage so viel andere Kriege: in Libyen, in Afghanistan, Syrien, dem Irak, in der Ukraine, in Nigeria und neu jetzt im Jemen. Die Menschheit hat in den vielen tausend Jahren ihrer Existenz das Kriege machen immer noch nicht verlernt. Und manchmal ist es eben auch ganz schlicht ein Teller Suppe in einem Restaurant, oder ein Wort auf dem Schulhof oder in einem Klassenzimmer, was den Beginn eines Streits auslöst.
Auf der anderen Seite gibt es kein Leben ohne Verletzungen. Nicht im Großen, schon gar nicht im Kleinen, oder im Privaten, Persönlichen… In einer Beziehung, einer Partnerschaft, in der Familie, in einer Freundschaft. Gerade da ist man immer wieder neu dieser Frage gegenübergestellt. Was tut Jesus? Er reitet seinen „Feinden“ entgegen. Er tut das, was er immer wieder und wieder erzählt und gepredigt hat: „Ihr wisst, euch wurde gesagt: Auge um Auge, Zahn und Zahn… Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand… Und ihr habt gehört: „Du sollst deinen Mitmenschen lieben und du sollst deine Feinde hassen.“ Ich aber sage euch:
Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen…Und noch am Kreuz sagt Jesus hörbar für alle, die dabei stehen: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.
So stirbt er. Er hat mit seinem Leben und seinem Sterben gezeigt hat, dass es anders geht – und wie es anders geht. Wie man nicht in Zorn und Wut erstickt, sondern aus der Vergebung lebt. Man kann nur selbst dieses alte Denken durchbrechen, und diesen neuen Weg einschlagen. Man kann nur selbst ganz allein die Entscheidung für ein „Leben aus der Vergebung“ treffen. Ja, man kann es erst einmal nur aushalten und zulassen, und man kann es Gott hinhalten: den Schmerz, den Zorn, die Wut. Und im Licht Gottes kann es heil werden.
Für uns, die wir ihm nachfolgen und uns nach ihm „Christen“ nennen, ist seine Handlungsweise eine stetige Herausforderung. Amen.
Predigt zum Palmsonntag 2015 vor der Passion (29.03.)
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