Andrea Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Liebe Schwestern und Brüder!
„Man überschätzt leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man durch andere geworden ist“. Kein geringerer als Dietrich Bonhoeffer will uns diese Weisheit mit in den heutigen Tag geben. „Man überschätzt leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man durch andere geworden ist“. Ist wohl so – und war wohl auch schon immer so, wie sonst käme Jesus auf die Idee, genau dieses Phänomen seinen Jüngern mit folgendem Gleichnis zu erklären:
„Ein Gerechter steht im Tempel und dankt Gott für sein überaus gelungenes Leben, das er stets untadelig geführt hat. Er hat noch nie einen beraubt, niemanden betrogen, seine Ehe ist in Ordnung, er spendet regelmäßig für die Armen, er ist einfach ein guter Mensch. Er ist einfach besser als dieser Zöllner, der da die Frechheit besitzt und sich ebenfalls in den Tempel stellt. Abseits zwar, aber immerhin. Wenn er wäre wie dieser Zöllner da, würde er sich gar nicht mehr unter die Leute trauen, geschweige denn in den Tempel“.
Dass der Zöllner sich ganz bewusst an den Rand gestellt hatte, um mit Gott allein zu sein, übersah der selbst ernannte Gerechte ganz einfach. Und genau deshalb bemerkte er auch nicht, dass der Zöllner ganz bei der Sache war – mit sich und Gott – und seine Gedanken nicht abschweiften, oder um das Seelenheil eines dritten kreisten.
So steht er also da, der Gerechte, als Mahner – als einer, der doch gerade, weil er so gerecht ist, für Recht und Ordnung sorgen muss.
„Man überschätzt leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man durch andere geworden ist“.
Ist es nicht so, dass auch wir uns manches Mal über die Missgeschicke anderer freuen, gar über wirkliche Schicksalsschläge süffisant lächeln und meinen: „Der hat es ja nicht anders verdient“?
Aus dem, was wir Gerechtigkeit nennen, entstehen Vorurteile gegenüber anderen, die eben grade mal nicht so sind, wie wir sie uns vorstellen. Von solch falsch verstandener Gerechtigkeit leben die Medien, die uns von Verfehlungen anderer Menschen aufreißerisch berichten und uns so viel unnötigen Gesprächsstoff liefern. Wäre es aber nicht sinnvoller und ehrlicher, über unser eigenes Tun und Handeln nachzudenken und zu überlegen ob das, was wir unter Gerechtigkeit verstehen, von der Liebe bestimmt wird, die zum Gelingen des Lebens notwendig ist?
Zündfunke, 18.11.14
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