Andrea Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Liebe Schwestern und Brüder!
Vieles im Leben wiederholt sich. Sonnenaufgang und Untergang, Wachen und Schlafen, Geboren werden und Sterben. Die Uhrzeiger drehen ihre Runden, regelmäßig, egal was passiert. Immer schneller, wie es scheint. Als würden Jahr und Tag kürzer; denn schon wieder hat ein neues Jahr angefangen. Viele kennen das Gefühl: die Zeit zerrinnt zwischen den Händen wie Sand; die Zeit rast. Aber nicht die Zeit vergeht schneller. Die Welt ist kleiner und komplizierter, das Leben ist schneller und dichter geworden. Trotzdem sind wir nicht die Sklaven unserer Zeit. Wir können etwas ändern. Ich möchte ihnen am Beginn des neuen Jahres die Geschichte einer Frau erzählen, die wegen chronischer Müdigkeit und Erschöpfung zum Arzt geht und damit rechnet, ein Medikament zu bekommen. Stattdessen fragt der Arzt nach ihrem Alltag. Im Gespräch mit ihm merkt sie: Nicht sie selbst ist diejenige, die lebt und ihre Zeit gestaltet. Sie wird gelebt von ihren Tagesabläufen und ist Sklave der Zeit. Der Arzt verschreibt ihr nun, jeden Tag 10 Minuten ganz bewusst etwas zu tun, das mit ihren Aufgaben nichts zu tun hat. Und die Frau beginnt, Gedichte auswendig zu lernen. Überraschenderweise geht es ihr bald wesentlich besser. Die stärkende Erfahrung für sie ist: Ich bin diejenige, die entscheidet – nicht nur die Umstände bestimmen mein Handeln. Im Lauf der Zeit hat sie andere Formen gefunden, diese 10 Minuten Pause für sich selbst zu füllen. Eine Zeitlang hat sie Texte aus der Bibel gelesen. Oder sie ging joggen. Andere schreiben Tagebuch in solchen Zeiten, meditieren, gehen mit dem Hund spazieren, machen Mittagspause auf dem Sofa oder lassen den Tag bei einem Glas Wein am Abend noch einmal an sich vorbei ziehen. Egal, wofür wir uns entscheiden. Diese Momente, die nur mir selbst gehören, zeigen mir: Ich lebe! Nicht: Ich werde gelebt. Für eine kurze Zeit bin ich herausgehoben aus meinem Alltag mit seinen Anforderungen. Das reicht, um ihn anschließend umso kraftvoller wieder anzupacken. Für mich heißt das: Ich bleibe im Kontakt mit mir selbst und so auch mit Gott. Denn die freie Zeit, die ich mir nehme, die kann ich mir auch für und mit Gott nehmen.
Zündfunke, 02.01.15
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