L I: Jona 3, 1-5.10 / Ev.: Mk 1, 14-20
Schwestern und Brüder!
Wenn Sie hier in eines der vielen Restaurants gehen, dann entdecken Sie als Wanddekoration häufig alte Fischernetze. Sie sind schön anzusehen und haben ja auch etwas mit dem zu tun, was Sie später auf dem Teller finden – so Sie möchten. Jetzt stellen Sie sich aber mal vor, statt der Fischernetze hinge da ein Foto, das ein Netz voll zappelnder und nach Luft japsender Fische zeigen würde – was ginge Ihnen da wohl durch den Kopf? Der ein oder dem anderen würde der Appetit auf einen solchen Fisch wohl gewaltig vergehen – andere kämen vielleicht auf den Gedanken: So fühle ich mich auch – eingeengt, den anderen aufgedrängt, ohne die Möglichkeit all dem auszuweichen, was mich beengt und das Leben schwer macht. Oder jemand, der mit einer Krankheit zu kämpfen hat käme vielleicht auf den Gedanken: Das ist ein Bild wie ich mich derzeit fühle… Würde nun allerdings jemand sagen: So stelle ich mir die Hauptaufgabe von Christen vor, ich glaube, wir alle hier würden auf die Barrikaden gehen.
Drängt sich ein solches Bild aber angesichts des heutigen Evangeliums nicht auf? Und können wir ein solches Bild den Menschen von heute so ohne weiteres zumuten, ohne dabei Gefahr zu laufen, auf eine Stufe mit den religiösen und politischen Rattenfängern unserer Tage gestellt zu werden? Soll uns dieses Bild gar ermutigen, wie so manche seltsame Missionare an der Straßenecke zu stehen, bereit dazu, jedem zufällig Vorbeikommenden das christliche Fangnetz überzuwerfen? Wo bliebe dann aber das, was mir in meinem Christsein zugesagt ist – nämlich die Freiheit jedes Menschen, sich eben für oder gegen Jesus zu entscheiden?
„Menschenfischen“ – ein Bild, worüber nachzudenken es sich mehr als lohnt. Denn wozu werden denn Menschen gefischt? In aller Regel doch zu ganz bestimmten Zwecken. So werden viele aus der Masse der anderen herausgefischt und dann den anderen vorgeführt: klitschend, oft glänzend und viel zu häufig überaus schlüpfrig erfahren wir das tagtäglich in den Medien – denken wir nur an Quotenrenner wie das Dschungelcamp oder wie sie alle heißen. Die Werbe- und Unterhaltungsindustrie lebt genau von dieser Art des Fischens – dem Vorführen, dem Verführen, dem trügerischen Lack, der heute glänzt und der morgen bereits ab sein kann. Andererseits wird man das Gefühl nicht los, als giere das mehr als frivol gewordene Publikum nach genau diesem täglichen Abfischen – wie uns die die Boulevardpresse mit ihren reißerischen und auf Stimmungsmache bedachten Überschriften jeden Tag aufs Neue zeigt.
Menschen hängen an der Angel, die Mächtigere auswerfen und an sich ziehen. Menschen fühlen sich gefischt und vermarktet, ohne wirklich darauf Einfluss nehmen zu können und Menschen zappeln im Netz eines Berufes, einer Familie oder auch einer persönlichen Situation, die sie ganz und gar in Beschlag nimmt. Ja, jemandem ins Netz zu gehen oder von jemandem in ein Netz gesperrt zu werden, das kann zu einer todernsten Sache ausarten, wie wir es auch durch all die Menschen erfahren, die anderen radikal ihre Sichtweise – sei sie nun religiös oder politisch motiviert – aufdrängen möchten.
Wenn Jesus deshalb im heutigen Evangelium seinen Jüngern zuruft: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen“, dann dürfen wir dabei all diese Bilder nicht im Kopf haben; müssen wir all diese negativen Sichtweisen beiseitelegen. Denn jemand der so fischt, der befreit nicht, sondern der macht Angst – auch und gerade, wenn es im Auftrag Gottes geschieht. Unser Gott aber meint das „Fischen“ wie er es durch Jesus die Jünger lehren will, eben gerade nicht im Sinne von vereinnahmen, von gefügig machen oder gar eines blinden Kadavergehorsams wie wir sie bei allen radikalen religiösen Fanatikern ausmachen können. Nein, Jesus meint eine ganz andere Art des Fischens – eine Art, die für uns vielleicht am ehesten dadurch deutlich wird, wenn wir uns mal vor Augen führen, dass man einen Menschen mit einem Netz nicht nur ein-, sondern vor allem auch auffangen kann. Eine Geschichte von Werner Bergengruen, die Sie vielleicht schon einmal gehört haben und die den einfachen Titel „Das Netz“ trägt, kann dies mehr als gut veranschaulichen.
Die Geschichte spielt in einem kleinen Fischerdorf und es geht um eine Frau, die ihrem Mann untreu geworden ist. Wobei ich Sie jetzt wirklich bitten möchte, von jeglichem klischeehaften Denken Abstand zu nehmen, mit dem wir oft sagen oder biblisch gesagt bekamen: „Natürlich die Frau“. Oh nein, die Geschichte könnte genauso gut mit umgekehrten Rollen geschrieben werden. Aber zur Geschichte: Das Paar hat sich entfremdet, ihr altes Versprechen trägt nicht mehr. Eines Tages nun wird die Frau vom Nachbarn entdeckt, als sie sich gerade ihrem Geliebten hingibt. Der kann fliehen, aber die Frau wird vor Gericht gezerrt und verurteilt. Die Strafe ist furchtbar: Sie soll von den Felsklippen in den Abgrund gestoßen werden, wie es seit alters her in solchen Fällen praktiziert wird. Ihr Mann schweigt dazu; sein Wort könnte sie vor diesem Urteil eh nicht retten. In der Nacht vor der Hinrichtung zieht sie nun ihre eigene Lebensbilanz. Sie rechnet ab mit ihrer Schuld, aber auch mit dem, was ihr Mann an ihr versäumte. Sie betet um Vergebung und hätte so gerne auch noch einmal mit ihrem Mann gesprochen, warum alles so kam. Und auch wenn sie beide keine gemeinsame Basis mehr haben, so wollte sie doch verstehen, warum es so kam und sie wollte ihm zu verstehen geben, was diesbezüglich ihre Gedanken sind. Sie betet, sie hofft, dass sich vielleicht doch noch eine Gesprächsmöglichkeit ergibt – aber es passiert nichts. Und so wie sie sich vorstellt, am nächsten Tag in den tiefen Abgrund zu fallen, so fällt sie in dieser Nacht durch all das hindurch, was ihr Leben ausgemacht hat, was sie getragen und gehalten hat. Am Morgen wird das Urteil ausgeführt. Doch am nächsten Tag sieht man sie wieder im Dorf, wie sie ihrer Arbeit nachging. Was war passiert? Ihr Mann hatte in der Nacht sein Fischernetz zwischen den Klippen ausgespannt – und genau das hat sie getragen und gehalten, als nichts anderes sie mehr gehalten und getragen hat.
Wie es mit den beiden weiterging, das erzählt die Geschichte nicht. Doch das ist auch nicht wichtig. Mir aber macht sie deutlich, was Jesus mit „Menschenfischern“ meint. Dieser Mann war im besten Sinne des Wortes ein solcher Menschenfischer geworden. Denn sein Netz hat die Frau nicht einfach ein-, sondern aufgefangen. Ist das aber nicht der Sinn der ganzen christlichen Botschaft: sich in Not aufgefangen und gehalten zu wissen? Der Auftrag Jesu im heutigen Evangelium heißt ja nicht nur: „ich werde euch zu Menschenfischern machen“, sondern auch: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Das ist aber kein Ruf zu einer Gerichtsverhandlung oder zu einem Strafverfahren und es ist auch kein Hinweis darauf, wie Menschen gefangen und zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Nein, damit ist vielmehr gemeint: So wie dieser Frau durch die Vergebung ihres Mannes ein Neuanfang ermöglicht wurde, so will auch Jesus uns immer wieder einen Neuanfang ermöglichen. Ihm geht es darum, dass Schuld und Sünde, Versagen und Lasten nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden, sondern dass Vergebung und Versöhnung dem anderen einen Neuanfang ermöglichen. Bei Jesus – und das ist für mich der eklatante Unterschied zu allen radikalen Äußerungen so mancher Gläubigen, ganz egal welcher Konfession oder Religion sie auch angehören – da zieht sich das Netz meiner Schuld eben nicht über mir zu und erstickt mich; da bin ich in den Tälern des Lebens eben nicht blamiert und mit meinem Versagen bloßgestellt – nein, da atme ich auf, weil ich Versöhnung und Gemeinschaft erfahren darf, weil ich trotz Schuld und Schatten mein Gesicht wahren und Zukunft finden kann.
„Folgt mir nach – ich will euch zu Menschenfischern machen!“ Wenn wir dieses Jesus-Wort als an uns gerichtet begreifen, dann lautet die Ansage: Baut christliche Netzwerke, die die Menschen um Euch herum Auffangen und die auch Euch Halt geben. Denn eine Gemeinschaft wie Jesus sie mit seinen Freundinnen und Freunden praktiziert hat, die lebt vom gegenseitigen Helfen und Aufbauen, vom Tragen und Gehalten werden. Gehen wir den Menschen nach; trauen wir uns zu, ihnen Nähe, Geborgenheit, Zuneigung, Geborgenheit und Liebe zu schenken. Wir brauchen keine Angst haben, dass dieses christliche Netzwerk uns überfordern könnte, denn Gott selbst ist es, der es durch uns strikt und der uns deshalb hält und auffängt, wenn wir mal ins Straucheln geraten oder unser Netz löchrig wird….
Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis 2015 (25.01.)
Schreibe eine Antwort