L II: 1 Thess 5, 1-6 / Ev.: Mt 25, 14-30
Schwestern und Brüder!
Vor kurzem sah ich im Fernsehen einen Beitrag, in dem es auch um die Arbeit von Zöllnern ging. Und da sagte einer von ihnen quasi: Wenn du das Gepäckstück öffnest, triffst du bei allen auf einen ganz harmlosen Inhalt. Da liegt das Nachthemd bei der Zahnbürste, die Zahncreme bei den Pantoffeln. Die heiße Ware aber liegt nie an der Oberfläche, sondern darunter verborgen – vielleicht sogar in einem doppelten Boden.Diese Filmsequenz kam mir wieder in den Sinn, als ich einen Kommentar zum heutigen Evangelium gelesen habe. Dieser machte nämlich eine Aussage, die jener des Zöllners sehr nahe kam. Da hieß es: „Ein Parabelerzähler gleicht einem Schmuggler. Sein Vorrat hat einen doppelten Boden.“ Ein interessanter Vergleich, der auch Jesus und seine Gleichnisse treffend charakterisiert. Denn bei Jesus finden wir ja auch eine Vielzahl von doppelbödigen Gleichniserzählungen, die auf den ersten Blick meistens – wie ein gut gepackter Koffer – ganz harmlos aussehen. Aber mit diesen Geschichten schmuggelt Jesus bis heute eine ganz „heiße Ware“ in unser Leben – Schätze oder auch Sprengstoff bzw. sagen wir besser: Schätze mit Sprengstoff. Deshalb lade ich Sie ein, dass wir uns heute mal gedanklich als Zöllner betätigen und untersuchen, was Jesus für uns in diesem Gleichnis von den Talenten versteckt hat.
Zunächst einmal gilt: Jesu will mit diesem Gleichnis von den Talenten weder den Wucher gutheißen noch die Profitgier rechtfertigen. Er will uns vielmehr zeigen, wie unser Leben unter dem Anruf Gottes gelingen kann oder wie wir uns selbst oft daran hindern, dass dies der Fall sein kann. Wir müssen im wahrsten Sinne des Wortes „höllisch aufpassen“, dass wir die Pointe der Geschichte nicht verpassen. Denn Jesus will ja mit seinen Geschichten immer auf einen ganz bestimmten Punkt hinaus und genau den gilt es für uns zu erkennen. Wie rechtfertigt der dritte Knecht sein Verhalten? Er sagt: „…weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt“. Das scheint der Punkt zu sein, auf den wir zurückkommen müssen.
Zunächst einmal geht es um einen großen Vorschuss an Vertrauen: „Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an.“ Das will ja schon etwas heißen: Sein ganzes Vermögen gibt der Herr in fremde Hände, und er tut es so, dass dabei keiner dabei überfordert wird. Dieser Herr kennt seine Leute, kennt ihre unterschiedlichen Fähigkeiten, und aufgrund dieser traut er ihnen dann aber auch etwas zu. Eine Erfahrung, die uns nicht fremd ist: Wenn uns jemand sein Vertrauen schenkt und Erwartungen in uns setzt, dann regen sich doch auch in uns oft Kräfte, die wir vorher gar nicht gekannt haben. Plötzlich gehen wir Risiken ein und beginnen ungeahnte Dinge zu tun. Darauf liegt der Akzent und nicht auf: Du musst in erster Linie etwas leisten, und alles, was Du anpackst, muss auch erfolgreich sein, muss gelingen und Gewinn bringen. Und dann ziehen wir womöglich daraus den fatalen Rückschluss, dass es bei Gott kein Haar anders ist. Es ist dieses tief sitzende Misstrauen gegenüber Gott oder besser gesagt, diese „Angst“ des dritten Knechtes, dass wir Gefahr laufen, das Gleichnis schnell in den „falschen Hals“ zu bekommen und uns mal wieder hoffnungslos überfordert zu fühlen.
Aber genau dagegen spricht dieses Gleichnis in seinem Kern an. Denn jedem der Knechte vertraut der Herr nach dessen Fähigkeiten Talente an. Ist das nicht tröstlich? Und ich entdecke den Schatz, den Jesus mit dieser Geschichte auch bei mir einschmuggeln will. Dieser Schatz besteht in der Zusage: Du hast ein Talent – mindestens eines! Und wenn ich jetzt unter Talent nicht in erster Linie Geld und nicht nur Begabung oder Fertigkeit ganz allgemein verstehe, sondern eben die Möglichkeit am Reich Gottes mit zu bauen, dann klingt die Zusage Jesu auf einmal so: auch du hast eine Gabe, die du einsetzen kannst, damit etwas mehr vom Reich Gottes zum Vorschein kommt. Schau nicht neidisch auf die, die scheinbar mehr haben. Jede und jeder ist beschenkt – niemand hat alles, aber auch keiner hat nichts. Du brauchst keine Angst zu haben – du wirst nicht überfordert und es werden auch keine Leistungen von dir verlangt, die du nicht erbringen könntest. Wenn du zum Beispiel das Talent des Zuhörens hast, dann geht ans Krankenbett. Geh zu denen, die niemanden haben, dem sie etwas erzählen können und der ihnen wirklich Gehör schenkt. Oder wenn du andere begeistern kannst oder kontaktfreudig bist, dann stecke sie an mit deinem Glauben, deiner Überzeugung und geh auf die zu, die isoliert leben und sich aus der Gesellschaft mit anderen zurückgezogen haben.
Ich entdecke auch den Schatz, den Jesus mit dieser Geschichte nicht nur in mein Leben, sonder auch in das Leben unserer Gemeinde einschmuggeln will. Dieser Schatz besteht in der Ermutigung: Bringt die Frohe Botschaft, die euch anvertraut ist, unter die Leute! Probiert etwas aus, damit das Evangelium lebendig bleibt! Helft mit, dass eure Gemeinden zu so etwas wie „Talentschuppen“ werden; zu Orten, auf denen man gemeinsam auf Talentsuche geht; an denen man verborgene Begabungen ausgräbt und fördert; zu Orten, an denen man sich gegenseitig bereichert und beschenkt und sich über die Talente der anderen freut.
Nun war ja aber anfangs nicht nur vom Schatz die Rede, sondern auch vom Sprengstoff. Und den entdecke ich sehr wohl auch. Der Sprengstoff besteht für mich nämlich in der Frage: Was machst du mit deinem Talent? Hast du schon erkannt, welches Lebensziel Gott dir ganz persönlich gesteckt hat? Welche Gaben zum Aufbau der Gemeinde er dir geschenkt und welche Berufung in diesem Leben er dir zugedacht hat? Und wie beantwortest du dieses Vertrauen, das Gott in dich setzt – mit Angst und Ausreden wie der dritte Knecht im Evangelium? „Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist…“ Doch genau dieses Gottesbild wird von Jesus getadelt und attackiert. Und er nimmt den Knecht nur bei seinem eigenen Wort, wenn er den Schluss daraus zieht: Ok, wenn du schon die Angst vor mir als Alibi für dein Nichtstun vorbringst, dann will ich mit dir auch genau danach verfahren: „Werft also den nichtsnutzigen Knecht in die äußerste Finsternis. Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.“ Ich spüre geradezu die Enttäuschung Jesu, dass da einer von Gott so mies und von sich selbst so gering denkt.
Wobei: es ist ja schon eine traurige Sache mit diesem dritten Knecht. Er tut nichts Böses, er hat nur Angst. Angst vor seinem Herrn und Angst vor seiner eigenen Courage. Vermutlich hat er deshalb auch nur ein Talent erhalten. Und es reicht nicht weiter für ihn, als dieses zu bewahren und zu bewachen. Ja, die Angst vor Gott kann uns unfrei machen, uns bremsen und blockieren. Und tatsächlich hat ja dieses finstere Gottesbild bei vielen frommen Menschen zu enormen Minderwertigkeitskomplexen geführt. Wie hat Pater Anselm Grün darüber mal in etwa gesagt: Wenn du Gott nur als den strengen Richter siehst, dann wird dein Leben schon jetzt zur Hölle, zur Finsternis und zum ständigen Zähneknirschen, weil die Angst vor Schuld und Sünde dir gar nichts anderes lässt. Die ständigen eigenen Schuldvorwürfe zerfleischen dich und bereiten dir bereits hier auf Erden die Hölle.
Dabei müsste ich nur das Vertrauen in den Himmel, das Vertrauen in Gott haben und meine Zeit und Möglichkeiten dazu nutzen, der Mensch zu werden, der ich sein kann. Kennen Sie die Geschichte von Rabbi Susja? Ihm wird nachgesagt, dass er vor seinem Tod gesagt haben soll: In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird mich vielmehr fragen: Warum bist du nicht Susja gewesen? Man wird mich nicht fragen: Warum hast du nicht das Maß erreicht, das der größte und gewaltigste Glaubende unserer Religion gesetzt hat? Sondern man wird mich fragen: Warum hast du nicht das Maß erfüllt, das Gott dir ganz persönlich gesetzt hat? Warum bist du nicht der Mensch geworden, der du eigentlich hättest werden können?
Jetzt erkenne ich aber – und das möchte ich zum Schluss nicht verschweigen – auch noch den Sprengstoff, den Jesus mit dieser Geschichte in unsere Gemeinde, in unsere Kirche einschmuggeln will. Dieser Sprengstoff besteht in der Warnung: Vergrabt nicht die frohe und befreiende Botschaft in Formeln und Verboten! Macht nicht das Bewahren, das Festhalten, das Ganz-auf-Nummer-sicher-Gehen zum obersten Prinzip eures Entscheidens und Verhaltens! Lasst eure Kirche nicht zu einem Museum werden, in dem das Evangelium zwar konserviert und geschützt, aber eben nicht gelebt wird. Scheut keine Experimente, wenn es darum geht, den Glauben so weiterzugeben, dass er die Menschen aufrichtet und heilt; habt keine Angst ein Risiko einzugehen – arbeitet mit euren Talenten! Und dann fällt mir der Satz meines früheren, leider viel zu früh verstorbenen Rottenburger Bischofs Georg Moser ein, der bereits bei der Diözesansynode 1985 sagte: „Eine Kirche, die nichts riskiert, riskiert am Ende alles!“ Wie wahr, wie wahr!
Jesus der Schmuggler – ich hoffe, wir entdecken nicht nur die Schätze und den Sprengstoff, die er in unser Leben einschmuggelt, sondern ich hoffe, wir verwenden auch beides. Amen.
Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis 2014 (16.11.)
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