L II: Hebr 11, 8.11f.17ff / Ev.: Lk 2, 22.39f (Kf)
Schwestern und Brüder!
Maria, Josef und ein freundlich lächelndes Jesuskind in trauter Eintracht beieinander; ländliche Idylle im Stall zu Bethlehem; Maria stets demütig, Josef immer fleißig, Jesus allzeit brav und gehorsam – Familienweihnachtsidylle pur auf Kunstwerken und Postkarten. Ob es damals aber wirklich so war? Heute: Patchwork, Alleinerziehend, Vater-Vater oder auch Mutter-Mutter-Familie, dazwischen auch „Normalos“ – Mann-Frau-Kind! Das ist Familienweihnacht 2014! Böse Zungen behaupten ja, dass das heutige Fest ganz gut in unsere Zeit passen würde. Denn: Vater im Himmel – Mutter auf der Erde – dazu ein fürsorglicher Ziehvater für das uneheliche Kind. Ich bin – offen gesagt – noch nie ein großer Freund dieses Festes gewesen, weil es auch an kein Ereignis der Heilsgeschichte erinnert, wie sonst fast alle kirchlichen Feste, sondern weil es sich einzig und allein einer Idee verdankt, die im offiziellen Tagesgebet heute so formuliert ist: „In der Heiligen Familie hast du uns ein leuchtendes Vorbild geschenkt.“
Es war Papst Benedikt XV., der 1920 dieses Fest verbindlich für die ganze Kirche eingeführt und damit ganz offensichtlich ein Gegengewicht geschaffen hat gegen den massiv um sich greifenden Traditionsbruch der Moderne und die vielfachen Umwälzungen durch die industrielle Revolution. Sein Ziel war klar formuliert: Nur eine bewusste christliche Lebensführung ist das Ideal einer bürgerlichen Familie. Dass aber Familie heute nun ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen kennt, das ist fast schon keines Kommentares mehr wert. Und auch unter Christen gibt es dazu ganz verschiedene Auffassungen. Deshalb möchte ich heute den Blick auf die andere Familie lenken, die Jesus immer wieder propagiert hat: „Wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt, ist für mich Bruder, Schwester und Mutter.“ Heißt für mich nichts anderes, als dass wir alle diese Familie sind. Und so wie damals Jesus seine eigene Familie ab und an gewaltig vor den Kopf gestoßen oder seinen neuen Familienmitgliedern ab und an die Leviten gelesen hat, so hat dies auch Papst Franziskus beim diesjährigen Weihnachtsempfang der römischen Kurie getan. Ohne Umschweife kam er auf die „Krankheiten der Kurie“ zu sprechen, auf dem Hintergrund seiner nun zweijährigen Erfahrung als Papst, der vor seiner Erwählung zum Bischof von Rom herzlich wenig mit diesem „Apparat“ der eigenen Familie zu tun hatte. Deshalb, so habe ich mir gedacht, soll der Papst heute hier selbst zu Wort kommen. Und ich sage Ihnen dabei gleich: Lehnen wir uns nicht voreilig und leichtfertig zurück und grinsen uns eins, was er den Kurienmitarbeitern so steckt. Denn was er diesen sprichwörtlich „ins Ohr geflüstert hat“, das trifft auch auf das Verhalten vieler von uns in unseren Gemeinden – ja, es trifft vielleicht sogar auf das Verhalten einzelner von uns in ihren Familien zu:
Insgesamt fünfzehn Krankheiten identifiziert Papst Franziskus in seiner nächsten Umgebung. Der in Armut geborene Gottessohn wolle uns Demut lehren; er sei nicht zu ausgewählten Menschen, sondern zu armen und einfachen Menschen gekommen. Die Krankheiten, von denen er spreche, seien zwar nicht ausschließlich auf die Kurie beschränkt, sie seien „natürlich auch eine Gefahr für jeden Christen und jede (bischöfliche) Kurie, für jede Gemeinschaft, Kongregation, Pfarrei und kirchliche Bewegung.“
Die erste Krankheit sei die, sich für immun oder unersetzlich zu halten: „Eine Kurie, die keine Selbstkritik übt, die sich nicht erneuert, die nicht besser werden will, ist ein kranker Organismus. Ein Besuch auf dem Friedhof kann
uns helfen, die Namen all der Personen zu sehen, die glaubten, unersetzbar zu sein.“ Diese Krankheit rühre häufig aus einer „Pathologie der Macht …, aus einem Narzissmus, der immer nur das eigene Gesicht, aber nicht das Bild Gottes im Gesicht der anderen sehe, vor allem der Schwächsten und Bedürftigsten.“
„Dann ist da eine weitere Krankheit: der Marta-lismus [nach der biblischen
Figur der Marta], die übertriebene Geschäftigkeit (…) Die notwendige Ruhe zu vernachlässigen führt zu Stress und unnötiger Aufregung“, so der Papst weiter. „Außerdem gibt es die Krankheit der geistlichen oder geistigen Versteinerung, das heißt, ein Herz aus Stein zu haben und halsstarrig zu sein. Das betrifft all jene, welche die innere Seelenruhe verloren haben, aber auch Lebendigkeit und Wagemut – und die sich deshalb hinter Papieren verstecken; sie werden zu einer ‚Maschine von Vorgängen‘ statt zu einem ‚Mann oder einer Frau Gottes‘.“
Eine weitere Krankheit der Kurie sei der Funktionalismus der Funktionäre und ihrer Planungswut: „Es ist notwendig, alles gut vorzubereiten, doch ohne der Versuchung zu erliegen, die Freiheit des Heiligen Geistes einschließen und steuern zu wollen.“ Immer wieder bedient sich der Papst griffiger Metaphern: „Es gibt auch die spirituelle Alzheimer-Krankheit, das Vergessen der persönlichen Geschichte mit dem Herrn, der „ersten Liebe“ (Off 2,4). Dabei handele es sich „um einen progressiven Verfall der spirituellen Fähigkeiten“, der letztlich unfähig macht, abzusehen von den eigenen Vorlieben und Gewohnheiten, „Launen und Manien“.
Viel Beachtung widmet der Papst der Krankheit Eitelkeit und Ruhmsucht, „wenn vor allem die Farbe der Montur im Blick ist, wenn Titel und Auszeichnungen gesucht werden.“ Und er nennt auch die Krankheit, „den Vorgesetzten den Hof zu machen, um ihr Wohlwollen zu erlangen.“ Aber auch um die Krankheit der Vorgesetzten weiß dieser Papst, die er unumwunden „Komplizenschaft“ nennt.
„Dann gibt es die Krankheit der existenziellen Schizophrenie: die Krankheit
derer, die ein Doppelleben führen, Frucht der typischen Hypokrisie – zu Deutsch: Heuchelei, Scheinheiligkeit – des Mittelmäßigen und einer fortschreitenden geistlichen Leere, die auch akademische Abschlüsse nicht
ausfüllen können. Diese Krankheit betrifft vor allem diejenigen, welche als Priester die Seelsorge aufgegeben haben und sich auf Verwaltung beschränken und so den Kontakt mit der Realität verlieren, mit den konkreten Menschen. So schaffen sie sich eine Parallelwelt, in der sie für sich selbst außer Acht lassen, was sie den anderen mit Strenge beibringen wollen.“
Der Papst spricht auch von „der Krankheit des Geredes, des Gemunkels, des Klatsches … – der Krankheit der Feiglinge, die hinter dem Rücken der anderen reden“ – und mit ihrem „Geschwätz“, andere herabsetzen. Man „tötet kaltblütig den Ruf des Nächsten“, um selber besser da zustehen.
„Und da ist die Krankheit der Leichenbittermiene griesgrämiger und mürrischer Menschen, die meinen, um wichtig und sehr ernst zu wirken, ihr Gesicht in Schwermut und Strenge hüllen zu müssen, – und dann die anderen, vor allem die Schwächeren, mit sturer Strenge, Härte und Arroganz behandeln. In Wirklichkeit ist diese theatralische Strenge ein steriler Pessimismus und ein Zeichen für Angst und Unsicherheit.“
Sehr viel Schaden richte auch “die Krankheit des Anhäufens“ von materiellen Gütern an. Das betreffe all jene, die auf solch fragwürdige Weise ihre Macht und ihr Ansehen vermehren wollen. Es waren keine konkreten Vorwürfe, die der Papst äußerte; es gab aber so manche Anspielung und jedenfalls eine sehr hellsichtige Krankheitsdiagnose. Einmal mehr wurde deutlich, dass der Papst unter „Reform“ zuerst eine persönliche Erneuerung des Christen versteht und dann erst die Reform kirchlicher Strukturen. Die Krankheiten beim Namen zu nennen, sei bereits der erste Schritt zur Besserung, schloss Papst Franziskus seine Ausführungen.
Wer von Ihnen in den Nachrichten die Videosequenz aus der „Sala Cle-
mentina“ – dem Ort dieser Weihnachtsansprache von Papst Franziskus – verfolgt und dabei die teilweise versteinerten Mienen der Anwesenden gesehen hat, die oder derjenige mag erahnen, dass so manch einer einen tiefen inneren Groll gegen diesen Papst hegt. Das ist wie in der Familie, wenn es eine Standpauke gibt und alle in tiefer Betroffenheit den Kopf senken. Allerdings: In der Familie ist man sich trotz so mancher „Kopfwäsche“ in Liebe und Zuneigung verbunden. Ob das in der großen Familie unserer Kirche so ist, wage ich zu bezweifeln. Auf jeden Fall macht sich Papst Franziskus mit solch offenherzigen und schonungslosen Worten nicht nur Freunde, auch wenn er in seiner engsten Umgebung durchaus Freunde und Gesinnungsgenossen hat.
Wenn auch wir ihn unterstützen und wenn auch wir zur großen Familie der Töchter und Söhne Gottes gehören wollen, dann müssen wir uns – bei aller Bewunderung des päpstlichen Freimutes – an die eigene Nase fassen und uns ehrlich fragen, welche der 15 „Kurienkrankheiten“ denn unsere Ureigenen sind und wo wir uns in dieser Familie ändern müssen…
Predigt zum Fest der Heiligen Familie 2014 (28.12.)
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