Andrea Bolz, Deutschsprachige Katholische Gemeinde Puerto de la Cruz
Liebe Schwestern und Brüder!
Das verzeihe ich dem, das verzeihe ich ihr, das verzeihe ich dir NIE! Wer hat diese Sätze nicht schon einmal gedacht oder laut ausgesprochen? In den meisten Fällen wächst Gras über die Sache. Aber manchmal ist die Verletzung auf beiden Seiten so tief, dass Menschen sich nach Jahren immer noch aus dem Weg gehen, sie schaffen es nicht, sich zu versöhnen, wieder miteinander zu sprechen. Besonders häufig fallen diese Sätze innerhalb von Familien. Da geht eine Ehe auseinander, und aus Zuneigung und Liebe wird Hass und Misstrauen. Beim Streiten um eine Erbschaft werden nicht wenige Geschwister zu Feinden. Hass-Gefühle bestimmen diese Menschen und nehmen sie gefangen. Wer das an sich selbst schon einmal erlebt hat, weiß, wie schwer es ist, sich davon zu lösen.
Franziskus, ein italienischer Mönch, wurde vor ca. 800 Jahren einmal mit einer solchen Situation konfrontiert. Er begegnete einem alten Bekannten. Und auf die Frage „Wie geht es dir, Bruder“? schüttete der vor ihm seinen ganzen Hass aus. „Mein Grundherr ist schuld daran, dass es mir so schlecht geht, verflucht sei er! Er hat mir alles genommen.“ Der Hass war durchaus begründet; aber trotzdem sagte Franziskus: „Bruder, vergib deinem Herrn um Gottes Willen, damit du innerlich frei wirst. Sonst hast du nicht nur dein Eigentum verloren, sondern du wirst auch noch deine Seele verlieren.“ Der Mann aber pochte weiter auf seinen Hass.
Manchmal ist es doch zum Haare raufen, wie Menschen sich abkapseln, sich einschließen in ihrem Trotz und ihrer Verbitterung, und dabei nicht merken, dass sie sich dadurch die Luft zum Leben nehmen. Dass es solche Situationen in jedem Leben gibt, steht außer Frage, nur der Umgang mit ihnen will gelernt sein. Situationen richtig und mit klarem Kopf zu erkennen ist dabei der erste Schritt. Ungünstige Konstellationen müssen auch einmal ausgehalten werden, sie müssen in Ruhe durchdacht sein um zu spüren, um was es wirklich geht.
Allerdings kann es manchmal auch gut sein, im Nachgeben Stärke zu zeigen. Manchmal ist es richtig, Abstand zu gewinnen. Manchmal hilft ein Dritter dabei, eine erträgliche Lösung für alle zu finden. Verzeihen und Versöhnen ist kein Akt der Schwäche oder der Unterwerfung, Verzeihen und Versöhnen verändert meine Beziehung zum anderen. Und es macht mich innerlich wieder frei.