„Zeitsprünge“

Gestern sah ich mir einen Film an. Einer von jenen, in denen immer wieder Zeitsprünge gemacht werden, und man dann unten Ort und Datum eingeblendet sieht. Zum Beispiel: New York, 23. September 1969, der Film wird plötzlich in das Schwarz-Weiss der damaligen Zeit getaucht und man sieht, wie man sich damals gekleidet hat, welche Frisuren „in“ waren und welche Autos man fuhr. Ein tiefer Seufzer löste sich aus meiner Brust und meine Gedanken gingen auf Wanderschaft. Ich rechnete nach, wie alt ich zu dieser Zeit war und wie jung meine Eltern. Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit, inclusive jener sorgenfreien Geborgenheit, die man wohl nur als Kind verspürt. Gern hätte ich in diesem Moment noch ein wenig länger verweilen können, doch das schmerzhafte Bewusstsein, dass man keine einzige Sekunde, die vergangen war, zurück holen konnte, warf mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Gnadenlos läuft das Rad der Zeit weiter und überlässt uns die Verantwortung für jeden Augenblick unseres Lebens. Ob wir mit einem Lächeln einem anderen Menschen ebenfalls ein Lächeln ins Gesicht zaubern, ob wir mit einem gesprochenen Wort die Seele eines anderen verletzen, oder ob wir in der Lage sind, während dem Lauf durch unser Leben ab und zu inne zu halten und den Blick nach oben richten – all das bestimmen wir selbst in jedem Augenblick, an jedem neuen Tag.
Und ich fragte mich, welches Gefühl ich wohl in vielen Jahren haben würde, wenn ich einen Zeitsprung zurück zum heutigen Tag sehen könnte. Ist dann auch ein Hauch von Wärme spürbar – welcher Art ist dann der Seufzer, der sich aus meiner Brust löst ..
Woran liegt es, dass wir in unserem Handeln in der Gegenwart so vorsichtig geworden sind und vor Entscheidungen uns nur an negative Erfahrungen erinnern und sie unser Handeln bestimmen lassen. Ich denke, dass es „früher“ anders war. Da glaubte man noch an Menschen, wenn man ihnen in die Augen sah und entschied nach „jenem Gefühl im Herzen“, ob man ihm vertrauen kann oder nicht. Heute ist es nicht mehr so.
Haben wir unsere Intuition verloren? Oder haben wir zu viel Angst vor Enttäuschungen, dass wir sie so weitläufig wie möglich ausgrenzen möchten …
Aber – können wir das überhaupt? – Ich denke „nein“. Weil wir dann nicht mehr „leben“. Weil wir dann gar nicht mehr spüren, wie Angst unsere Seele „aufisst“. Weil wir dann dieses wunderbare Gefühl gar nicht mehr erleben, wie es ist, jemandem vertraut zu haben, obwohl andere es nicht taten und er sich dieses Vertrauens würdig erwiesen hat. Weil wir uns damit des Glaubens an uns selbst berauben.
Und soeben denke ich darüber nach, wie die Menschen in 20, 30 oder vierzig Jahren denken und handeln werden und was sie fühlen, wenn sie den Zeitsprung zurück in unser „Heute“ machen …