L I: Jes 40, 1-5.9-11 / Ev.: Mk 1, 1-8
Schwestern und Brüder!
„Der Glaube der Kirche verdunstet, mit der Kirche geht es bergab, früher war alles besser.“ Solche oder ähnliche Töne sind oft zu hören – manches Mal mag man sie schon gar nicht mehr hören – wenn mal wieder über den Zustand von Glaube und Kirche geredet oder sollte ich besser sagen „lamentiert“ wird? Leere Kirchen, Gemeindezusammenlegungen und Kirchenschließungen. Immer weniger Taufen und ein Mehr an Kirchenaustritten. Immer weniger religiöses Wissen, das zum Beispiel in der Schülerantwort gipfelt: Wer hat das erste Evangelium geschrieben? Lothar Matthäus! Und auch immer weniger Glaubensgrundlage, wenn bei Beerdigungen und Hochzeiten der Zelebrant noch als einziger das „Vater unser“ betet … usw. Es ist eine überaus pessimistische Analyse, die von allen Seiten abgegeben wird, wenn von Kirche und Glaube heutzutage die Rede ist. Und manch einem kommt über all dem der Gedanke: Bald macht der Letzte hier das Licht aus.
Vielleicht klingt das jetzt in Ihren Ohren etwas zu übertrieben. Aber wenn ich das zusammenfasse, was ich so von den Menschen zu hören bekomme, dann können einem solche Gedanken schon durch den Kopf gehen. Doch ist es um unseren Glauben und die Gemeinschaft der Glaubenden wirklich so schlecht bestellt? Sind wir wirklich nur noch eine Kirche von Pessimisten und damit verbunden eine Christenschar mit hängenden Köpfen?
Ich habe ein Gedicht von Lothar Zenetti gefunden, das genau dagegen angeht mit dem Titel: „Die neue Hoffnung“. Da heißt es:
„Es ist nicht zu leugnen: was viele Jahrhunderte galt, schwindet dahin. Der Glaube, höre ich sagen, verdunstet.
Gewiss, die wohlverschlossene Flasche könnte das Wasser bewahren. An
ders dagegen die offene Schale: sie bietet es an.
Zugegeben, nach einiger Zeit findest du trocken die Schale, das Wasser schwand. Aber merke: die Luft ist jetzt feucht.
Wenn der Glaube verdunstet, sprechen alle unbekümmert von einem Verlust. Und wer von uns wollte dem widersprechen!
Und doch: einige wagen trotz allem zu hoffen. Sie sagen: Spürt ihr’s noch nicht? Glaube liegt in der Luft!“
Ich finde es ist ein herrliches Gedicht und vor allem spricht es an gegen alle Resignation bezüglich unseres Glaubens. Und es stimmt ja auch nicht, dass Glaube und Religion den Menschen von heute nicht mehr interessieren oder täglich weniger werden würde. Es hat sich nur vieles verändert und ist deshalb nicht mehr in den traditionellen Formen oder in den uns vertrauten Ausmaßen sichtbar. Aber was verdunstet ist, das ist doch noch längst nicht verschwunden. Der Naturwissenschaftler würde sagen: Der Aggregatszustand hat sich nur verändert. Auf die Religiosität bezogen zeigt sich nämlich, dass die Menschen heutzutage vielen Heilslehren nachlaufen, dass sie diverse und manchmal auch diffuse spirituelle Angebote außerhalb der Kirchen nutzen und oft genug in fragwürdige Freikirchen oder gar Sekten abdriften. Denn die Fragen nach dem Woher, dem Warum und Wohin unseres Lebens, die stellen sich den Menschen doch auch weiterhin. Auch die Fragen nach all dem Dahinter oder Danach, wenn die irdischen Grenzen sichtbar und wahrnehmbar werden. Nach dem Trotzdem und Jetzt-erst-recht, wenn es gilt für Menschenrechte und Menschenwürde einzutreten. Dann ist doch entscheidend, aus welcher Quelle ich meine Orientierung schöpfe, welche Ziele sich dabei abzeichnen und auf wen ich mich auf dem Weg dorthin verlassen kann.
Das ist heute nicht anders, als zu Zeiten eines Johannes des Täufers. Wenn
wir an die Zeit denken, in der er öffentlich aufgetreten ist, stellen wir fest: die
Situation in Israel ist hochexplosiv aufgeladen. Viel Glaube liegt in der Luft, aber die Frage ist: Wohin schlägt das Pendel aus? Die römische Besatzungsmacht regiert und viele Menschen fragen sich: Anpassen oder Widerstand leisten? Eine Frage, die das gesamte jüdische Volk in viele politische und religiöse Parteien und Gruppierungen spaltet. Da gibt es die konservativen Pharisäer, dann die liberalen Sadduzäer, die radikalen Zeloten und die schlauen Kollaborateure in Form von Steuereintreibern und Zöllnern. Und was tut Johannes? Er will das gesellschaftliche Reizklima nicht weiter anheizen. Also ergreift er nicht einseitig Partei, sondern er greift die Basishoffnung Israels auf. Er verweist auf den Rabbi Jesus, einen Wanderprediger wie er selbst, und rückt diesen in unmittelbare Nähe zu der allen verheißenen Messias-Gestalt: „Nach mir kommt einer, der stärker ist als ich.“
Diese Demut des Johannes hat nichts mit Duckmäuserei, Unterwürfigkeit oder gar Selbstverleugnung zu tun, wie andererseits sein prophetischer Anspruch an seine Zuhörerinnen und Zuhörer frei ist von jeglicher Anmaßung. Sich mit Selbstbewusstsein in den Dienst einer Sache zu stellen – wohlwissend, dass man dabei nicht die Hauptperson ist – das hat etwas mit Wegbereitung zu tun. Umgekehrt reiht sich ja auch Jesus in die Schlange der Bußwilligen am Jordanufer ein. Diese Bescheidenheit des Größeren erinnert mich an die ersten Worte von Papst Franziskus nach seiner Wahl, als er auf der Loggia des Petersdomes zu der wartenden Menschenmenge sagte: „Und nun möchte ich euch den Segen erteilen. Aber zuerst bitte ich euch, mich zu segnen. Rufen wir den Herrn an, dass er mich segne: das Gebet des Volkes, das um den Segen für seinen Hirten bittet.“
Wovon Jesaja schon Jahrhunderte zuvor spricht, das wird jetzt mit Johannes dem Täufer ein reales Ereignis: „Eine Stimme ruft in der Wüste.“ Mit dem Propheten setzt der Täufer einen typischen biblischen Akzent. Während nämlich in vielen Religionen die Gläubigen nach Bedarf eigenständig Bußrituale oder Reinigungsbäder vollziehen, kommt im Aufruf zur Bußtaufe der Impuls von außen. Unabhängig von eigenen Wünschen verlangt die Umkehr persönliches Nachdenken und aktive Bereitschaft zur Veränderung. Auf genau auf diesen Johannes-Dienst aber kommt es an, wenn viel „Glaube in der Luft liegt“ – nämlich: Dass eine heiße Gewitterschwüle sich klärt; dass Energien sich auf konstruktive Ziele hin ausrichten, dass aus Unverbindlichkeit und Zögern ein klares Bekenntnis wird und dass lange gehegte Hoffnungen in einer Person Gestalt gewinnen – oder bildlich gesprochen: dass ein religiöser „Dunst“ in heilsamer Weise „kondensiert“ und als fruchtbarer „Niederschlag“ wirkt.
Auch heute – und damit bin ich wieder am Beginn meiner Gedanken, liegt
Glaube in der Luft, davon bin ich fest überzeugt. Diese, sicherlich manchmal etwa „nebulöse“ Situation zu klären, das ist unsere aller Aufgabe. Aber sie ist doch zugleich auch eine immense Chance. Wen Jesus sagt „die Ernte ist groß“, dann ist das weniger eine Klage über fehlende Arbeiter als vielmehr der Hinweis darauf, dass sich der Einsatz lohnt. Der Schatz im Acker wartet auf seine Entdeckung, die kostbare Perle lässt sich finden und Talente können vermehrt werden. Man muss sich nur auf die Suche begeben und dabei etwas riskieren.
Nun stehen wir heute an der Stelle des Johannes; wir sind heute die Vorläufer und Wegbereiter des Messias in dieser Zeit. Und da entdecke ich eben die Versuchung so mancher Christen und unserer Kirche: Flasche ja fest verschrauben, damit der Glaube bewahrt bleibt; auf Nummer sicher gehen und wenigstens die kleiner gewordene Herde zusammenhalten. Ich bin aber der Überzeugung, dass das biblische Rezept ein anderes ist. Dieses meint vielmehr: Seine Überzeugung mit der offenen Schale ausgießen, damit die Umgebung – meine ganz persönliche Umgebung – mit Glauben, Hoffnung und Nächstenliebe „befeuchtet“ wird. Dazu brauche ich aber Selbstbewusstsein, Gottvertrauen und darf mit meiner Meinung und meiner Überzeugung nicht hinterm Berg halten. Als Prophetinnen und Propheten im Heute sind wir aufgefordert zu reden. Aber eben nichts belangloses, sondern unser Reden soll auf Gott hinweisen. Können wir uns das aber wirklich in unserem Bekannten- und Freundeskreis vorstellen? Von Gott zu erzählen? Wohlgemerkt – es geht nicht um Katechismussätze oder ähnliches. Nein, es geht darum: Woran glaube ich? Was ist meine Vorstellung von Gott? Wie will ich Jesus nachfolgen? Was erwarte ich nach dem Tod? Das Evangelium als Frohbotschaft, was heißt das für mich?
Ich bin davon überzeugt, dass wenn wir so agieren, dann wird unser Glaube wie Wasser aus einer Schale vergossen. Dann wird die Lebenswelt unserer Mitmenschen benetzt von der Gegenwart Gottes, sozusagen bewässert von der Liebe und Solidarität derer, die heute und morgen als Vorläufer und Nachfolger Jesu in seine Fußstapfen treten. Es muss uns als Einzelne und als Kirche klar sein: Nur wenn wir den Glauben nicht in der Flasche von Sicherheiten und Traditionen versiegeln, sondern ihn anbieten durch Worte und Taten wie in einer offenen Schale, nur dann kann und wird er unter den Menschen „verdunsten“ – nur dann wird er sich auch heute weiter ausbreiten und die Menschen mit dem „Wasser des Lebens“ benetzen. Wir haben doch die Zusage Gottes: Der Geist wirkt wo und wann er will. Er bedient sich unterschiedlicher Gaben und aller möglichen Wege. Und so schenkt er auch uns – Ihnen und mir – die Kraft zu einem überzeugenden Glauben – in diesem, unserem Advent 2014. Amen.
Predigt zum 2. Adventsonntag 2014 (07.12.)
Schreibe eine Antwort