Lesung: Ez 34, 11-12.15-17 / Evangelium: Mt 25, 31-46
Schwestern und Brüder!
Macht es heute noch Sinn ein Fest zu feiern, welches von Papst Pius XI., 1925 zur 1600 Jahr-Feier des Konzils von Nicäa eingeführt wurde und das angesichts damaliger politischer Umwälzungen betonen wollte: Herr und König der Welt ist einzig und allein Jesus Christus?
Erinnern wir uns: Der entsetzliche Erste Weltkrieg – an dessen Beginn vor 100 Jahren viele Reportagen in diesen Monaten erinnern – dieser furchtbare mit seinen mehr als 10 Millionen Toten und über 20 Millionen Verletzten war zu Ende. Maßgebliche Monarchen dankten ab, schwache Regierungen, die sich nicht lange halten konnten folgten ihnen, bevor sie dann machtbesessenen und größenwahnsinnigen Männern Platz machen mussten. Die Völker waren in Aufruhr, links- und rechtsextreme Hassparolen überschrien sich gegenseitig und immer wieder wurden die Menschen durch politisch motivierte Mordtaten aufgeschreckt. Die Wirtschaftskrise mit Millionen von Arbeitslosen und die Armut, die damit einherging, tat ein Übriges – juden- und fremdenfeindliche Tendenzen griffen um sich. Genau in diese chaotische Zeit hinein, in der das politische Königtum quasi abgeschafft war, kam Pius XI. und rief das Christkönigsfest aus. Wieder mal typisch Kirche? Wieder mal Ewiggestrig und vor allem gegen die Demokratie? Eher nicht. Denn mit diesem Fest beschwor die Kirche in einer mehr als aufgewühlten Stimmung ihren Glauben an Jesus Christus, den Glauben an einen König eines ganz anderen Reiches. Sein Reich wird nämlich gerade dort deutlich und sichtbar, wo wir uns von der Finsternis dieser Welt befreien, wo wir Zivilcourage beweisen und für die christlichen Werte wie Wahrheit, Leben, Gerechtigkeit, Liebe und Frieden eintreten.
Nun könnten wir natürlich sagen: Wenn das wirklich der Beweggrund für die
Feier dieses Festes war, hat es dann heute überhaupt noch Aktualität? Und schon beim Stellen der Frage spüre ich, dass ich sie nur mit Ja beantworten kann. Sicherlich: Es hat sich seit damals sehr viel verändert und Gott-sei-Dank kommen die Völker Europas seit Jahrzehnten so miteinander aus, dass – wenn wir jetzt mal von der Ukraine-Krise absehen – die Waffen schweigen. Aber als Christen müssen wir eben dieses Wenige und vor allem die ganze Welt im Blick haben. Und können wir da wirklich beruhigt sein? Können wir da wirklich allen Ernstes behaupten – wenn wir jetzt an das Evangelium denken – es gebe keine Menschen, die hungern und Durst haben? Die sich nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen? Können wir allen Ernstes behaupten, dass es heute keine Formen von Herrschaft und Unterdrückung in dieser Welt gibt? Dass alle Menschen dieser Erde in Würde leben können und alle das zum Leben Notwendige haben? Wir alle wissen doch um die viel zu vielen Formen geheimer Unterdrückung, Not und Unfreiheit so dass die Sehnsucht nach einer anderen, nach einer friedfertigeren und letztlich gottgewollten Welt auch noch heute ihren festen Platz hat.
Was am Ende einzig und allein zählt – und da sind wir jetzt bei Matthäus und seinem Bild vom Endgericht angekommen – das ist der Mensch: der hungrige, der durstige, der fremde, der obdachlose, der nackte, der kranke, der gefangene Mensch – und was wir, was ich ihm getan habe! Wir alle kennen die Tradition der Werke der Barmherzigkeit, die genau daraus entstanden ist. Man braucht wahrlich kein Augenarzt und kein Wissenschaftler sein, um diese Gruppen auch heute noch zu sehen und zu benennen, um diese Menschen auch heute, im Jahre 2014, wahrzunehmen. Ob das jetzt evtl. der bettelnde Mann ist, der ab und an vor unserem Kircheneingang sitzt, oder auch ganz aktuell eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien … Was zählt ist unser Tun dazu, unsere Handlung angesichts dieser Menschen, die es
mehr als sichtlich nötig haben, dass sie Hilfe und Unterstützung erfahren.
Wenn ich Matthäus richtig deute, dann reicht unser Engagement für die Gemeinde alleine, unser Besuchen der Gottesdienste oder auch das brave Zahlen von Kirchensteuer eben nicht aus, um unserem Christsein gerecht zu werden. Nein, die Nagelprobe dafür ist schlussendlich immer der Mensch, dem geholfen wird in seinem Durst, seinem Hunger, seiner existentiellen Not. Der Gottesdienst hier, der muss sich draußen in unserem Alltag fortsetzen; der muss sich im Tun gegenüber den Geringsten bewähren. Diese Geringsten stellen uns nämlich immer die Gretchenfrage: wie hältst Du es mit Jesus? Siehst Du ihn in uns, findest Du ihn auch außerhalb des Tabernakels oder des Gotteshauses wieder? Siehst Du ihn draußen vor der Tür, außerhalb deiner vertrauten kirchlichen Gemeinde oder Gruppierung? All das, was wir in unseren Reihen und für uns tun, ist schön und gut, aber die Frage bleibt: Wie halten wir es mit unserer Hinwendung zur Welt, mit unserer von Jesus geforderten Extravertiertheit hin zu denen am sogenannten Rand, kurz: wie halten wir es mit unserer Caritas und Diakonie?
Wir können diese Menschen, wenn wir diese Stelle recht verstehen, nicht einfach auslagern an die Experten! Wenn wir sie samt ihren alltäglichen Nöten nur an andere verweisen, sie weiterschicken, weil wir uns in unserem Alltagsbetrieb nicht stören lassen wollen, dann sind wir Bock und nicht Schaf! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich will uns aus diesem Evangelium keine Drohbotschaft stricken, das hat man mit dieser Stelle viel zu lange gemacht und das liegt mir im tiefsten meines Herzens fern. Ich will hier auch keine Aufforderung zu einem übermenschlichen Engagement von mir geben, weiß Gott nicht. Aber was ich tun will, das ist das Evangelium ernst nehmen. Und da ist doch – genau betrachtet – von „einem“ Menschen die Rede: was ihr für „eine/einen“ dieser geringsten getan habt, so heißt es sinngemäß. Wir müssen also gar nicht gleich die ganze Welt retten, bei ei-
nem und einer fängt es an!
Und: es ist hier wohlgemerkt nicht die Rede vom Aspekt der Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit steht im Vordergrund. Klar darf die Gerechtigkeit nicht auf sich warten lassen bis am St. Nimmerleinstag. Und es sollte die Hilfe auch nicht beim individuellen Schicksal stehenbleiben, sondern die Liebe, die Caritas muss auch ins Politische hinein gedacht werden, sprich auch strukturell angegangen werden. Aber das ist heute nicht der Punkt bei diesem Evangelium. Ohne Barmherzigkeit, ohne den Blick auf den konkreten Menschen ist nämlich auch die Gerechtigkeit nicht der Weisheit letzter Schluss, es braucht die individuelle Erfahrung, damit das große Ganze nicht unmenschlich, nicht abgehoben wird. Pathetische Formeln alleine helfen nicht, gegründet muss das große Ganze sein im Konkreten, im erfahrbaren Alltag.
Der Punkt heute ist also: Gehen wir raus, tun wir was nottut, lassen wir es nicht beim Nichthandeln bleiben. Denn das wirkliche Übel in der Welt entsteht viel weniger aus den bösen Taten, die getan werden – das wirkliche Übel entsteht vielmehr aus dem, was unterlassen wird. Aus Angst, aus Hilflosigkeit, aus dem sich Einigeln, auch aus unserem immer Bedürfnis nach kuscheligen Gruppen, in denen wir uns wohl und sicher fühlen.
Das alles darf ja auch sein und wir brauchen auch den Rückhalt von Menschen, die uns stützen und halten. Aber als Christen müssen wir raus vor die Tür. Es tut uns gut, wenn wir uns durchlüften lassen von den Menschen da draußen – oder wie Papst Franziskus sagte: Wenn wir den Stallgeruch der Menschen da draußen annehmen – der Menschen, die bedürftig sind. Lernen wir von den Menschen in der Kirche, die tagtäglich rausgehen, ob das die Leute von der Caritas sind, die Leute in der Krankenhausseelsorge, die Frauen und Männer in den Ehe- und Familienberatungsstellen, denjenigen, die sich um die Asylsuchenden kümmern und so weiter. Wir haben Menschen unter uns, die uns bei Bedarf helfen können, die Augen zu öffnen. Und: Klopfen wir unser kirchliches Tun immer wieder daraufhin ab: wozu es letztendlich dient. Veranlasst es uns, uns auf die Seite der Böcke, auf die Seite derer, die in ihrem Eigenen, Vertrauten bleiben zu begeben oder verhilft es uns auf die andere Seite, auf die Seite der Schafe zu gelangen? Jesus positioniert sich da eindeutig.
Das heutige Evangelium muss uns nicht Angst und Bange machen, denn es zeigt uns – Ihnen und mir – Lehrstückhaft, wie Leben gelingen kann. Es gelingt dort, wo ich ein Gespür dafür entwickle, was zu tun ist; was in diesem Moment gerade wichtig ist. Es gelingt da, wo ich bereit bin, mich mit dem, was ich bin und habe, einzubringen in diese unsere Welt. Und es misslingt und geht mir allüberall da verloren, wo ich die Augen verschließe, nur noch um mich selbst kreise und eben nicht bereit bin, mich und das was ich bin und habe einzubringen. Durch Herzensträgheit und indem ich alles bei mir behalte, verarme ich letztlich und richte mich dadurch selbst.
Ein bekannter Theologe sagte einmal: „Wer in Gott eintaucht, taucht in den Armen und arm Gemachten wieder auf.“ Oder ich kann auch sagen: Wer sich den Geringsten, den Armen und Bedürftigen liebend zuwendet, findet sich letztlich bei und in Gott wieder. Warum also sollte uns das Evangelium ängstigen? Wenn uns bewusst ist, dass es 5 Evangelien gibt, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. 5 – fragen Sie sich? Die vier in der Bibel, so meine ich, werden selten genug von den Menschen gelesen: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Aber das Fünfte – nämlich unser Leben – das nehmen die Menschen unserer Zeit sehr wohl war. Amen.
Predigt zum Christkönigssonntag 2014 (23.11.)
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