Predigt zum Weihetag der Lateranbasilika 2014 (09.11.)

L II: 1 Kor 3, 9c-11.16f / Ev.: Joh 2, 13-22
Schwestern und Brüder!
Kirchweihfeste sind in manchen Gegenden etwas ganz besonderes. Da geht das Gedenken an den Bau der eigenen Kirche einher mit Tanz und Musik, Schaustellern und Fahrgeschäften. Heute denken wir nun an die Weihe einer ganz besonderen Kirche, der Lateranbasilika in Rom, die auch als „Mutter und Haupt aller Kirchen in der Stadt und des Erdkreises“ gesehen wird. Natürlich wirft das bei vielen die Frage auf: Weshalb eigentlich? Ansonsten steht doch für uns Katholiken der Petersdom im Mittelpunkt als Ort, an dem der Papst die Gottesdienste zelebriert. Wieso also jetzt die Lateranbasilika? Deshalb kurz diese Rückschau:
Nachdem Konstantin 312 den Kampf um die Kaiserkrone für sich entschieden hatte, ließ er sein Militärlager abreißen und genau an dieser Stelle eine christliche Kirche, eine Basilika bauen, die dann am 9. November 324 von Papst Silvester I. geweiht wurde. Nach all den Verfolgungen die Jahre zuvor, war dies jetzt das untrügliche Zeichen dafür, dass die Anfeindungen und Verfolgungen der Christen endgültig zu Ende waren und diese ihren Glauben frei ausüben konnten. Das allein ist der Grund, weshalb dieser Kirche bis auf den heutigen Tag eine besondere Bedeutung zukommt.
Nun mag sich die ein oder der vielleicht fragen: Gut und recht, aber haben wir nichts Aktuelleres zu feiern als das knapp 1700 Jahre alte Fest einer Kirche in Rom, die die meisten von uns sowieso nicht kennen? Und vielleicht gehen Ihnen dabei viel eher die Gedenktage durch den Kopf, die ich zu Beginn des Gottesdienstes bereits erwähnt habe. Zum Beispiel der Mauerfall vor 25 Jahren. Menschen haben – ausgehend vom Treffpunkt Kirche – ein System zum Wanken und dann zum Einstürzen gebracht, was viele in all den Jahren zuvor als unmöglich erachteten. Die Kirche aus Steinen war der Ort, der Sicherheit gab und in dem Menschen sich frei äußern konnten. Daraus wurde dann aber die Kirche auf dem Weg, auf der Straße – die Kirche unter und mit den Menschen. Das erlebten zumindest all jene so, die mit Kerzen aus der Nikolaikirche kamen und für ihre Überzeugung auf die Straße gingen. So wurde möglich, was viele von uns am Fernseh- oder Radiogerät verwundert die Augen reiben ließ. Die Mauer wurde friedlich geöffnet. Als dann Ost- und Westberliner sich in die Arme fielen und endlich“ zusammenwuchs, was zusammengehört“, wie Willy Brandt es formulierte, da war allen klar, welch freudiges historisches Ereignis sich hier gerade zutrug. Und selbst, wenn die Freude darüber zwischenzeitlich etwas verblasst ist, so dürfen wir die Folgen doch bis heute im positiven Sinne spüren. Was durch Mauer, Stacheldraht und Selbstschussanlagen getrennt war, ist heute eins – auch wenn es immer noch manche Betonköpfe gibt, die das anders sehen.
Die Kirche als Ort, an dem das Wort Gottes verkündet wird, an dem er für viele Menschen mehr als an anderswo erfahrbar ist, dieser Ort wurde zum Hoffnungszeichen, zum Aufbruch in eine neue Zeit. Und selbst wenn viele sagen: Wir brauchen keine prächtigen Kirchen, um Gott zu erfahren, so ist für mich durch diese Geschehnisse doch deutlich geworden – es geht von einem solchen Ort eine immense Kraft aus.
Nun drängt sich mir aber auch das zweite Datum ins Bewusstsein. Ein Datum, das gleichfalls mit Gebäuden, mit Gotteshäusern zu tun hat. Die Reichspogromnacht von 1938 – sie war der Beginn der systematischen Judenverfolgung im Dritten Reich. Ist es da nicht wichtiger, an diese brennenden Synagogen in Deutschland zu erinnern, als an eine Kirche in Rom? Oder könnte das Fest der einen Kirche nicht Anlass sein darüber nachzudenken, was dazu geführt hat, dass das andere 1938 auch im Namen von Christen möglich war?
Zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht sprach der unvergessliche Bi-
schof Klaus Hemmerle von Aachen in der dortigen Aula Carolina ein Wort der Klage, eine Art Gebetslitanei:
„Man hat meinem Gott das Haus angezündet – und die Meinen haben es getan. Man hat es denen weggenommen, die mir den Namen Gottes schenkten – und die Meinen haben es getan. Man hat ihnen ihr eigenes Gotteshaus weggenommen – und die Meinen haben es getan. Man hat ihnen Hab, Gut, ihre Ehre und das Leben genommen – und die Meinen haben es getan. Die den Namen desselben Gottes anrufen, haben dazu geschwiegen – ja die Meinen haben es getan. Man sagt: Vergessen wir’s und Schluss damit. Aber soll ich sagen: Die Meinen waren es nicht? – Nein, die Meinen haben es so getan. Was also soll ich sagen? Bewahre in mir deinen Namen, bewahre in mir ihren Namen, bewahre in mir ihr Gedenken, bewahre in mir meine Scham: Gott sei mir gnädig.“
Ein Text, der unter die Haut geht. Ein Text der Klage, nicht der Anklage. Ein Wort der Anteilnahme, nicht der Distanz. Es ist ein Gebet, das zwar verhalten, aber doch sehr genau an die geschichtlichen Ereignisse erinnert und zugleich Gott als den Löser unserer Nöte, um sein Erbarmen, seine Zuwendung und Liebe anruft. Und: Es ist schließlich ein Text, der die Frage eines Schuldzusammenhangs zwischen den Generationen – die ja häufig von denen, die die „Gnade der späten Geburt“ haben, gerne gestellt wird – nicht abweist, sondern aufnimmt und ihr eine Perspektive gibt: Auch wenn die Untaten der Generation vor uns, uns Heutige nicht zu Tätern macht, so kann doch das Band der „Kollektivscham“, wie es Theodor Heuss mal formuliert hat, nicht einfach durchgetrennt werden. Auch nicht das Band der Scham über das Versagen der Kirche(n). Weihbischof Jaschke aus Hamburg hat das ziemlich deutlich formuliert als er sagte: „Wie konnte es geschehen, dass vor den Augen der deutschen Christenheit die Synagogen niedergebrannt und die Juden gedemütigt wurden, ohne dass es einen öffentlichen Protest oder ein Zeichen der Solidarität gab? Warum haben die Kirchen geschwiegen? Es geht nicht in mein Herz und nicht in meinen Verstand.“
Eine Antwort auf diese bedrängende Frage ist für mich die tatsächlich eklatant bestehende christliche Judenfeindschaft; diese bis zum II. Vatikanischen Konzil währende, jahrhundertelange Abwertung, ja Verachtung der Synagoge durch die Kirche, die sich anmaßte, die Juden als „das Volk der Gottesmörder“ für immer zum Sündenbock der Heilsgeschichte zu machen. Im alten, seit 1570 gültigen Messbuch betete die Kirche am Karfreitag „für die perfiden Juden: Gott, der Herr, möge den Schleier von ihren Herzen nehmen, auf dass auch sie unseren Herrn Jesus Christus erkennen“. Dann bat man Gott um die Erhörung dieser Gebete, „die wir“ – so heißt es im Wortlaut – „ob der Verblendung dieses Volkes vor dich bringen. Mögen sie … ihrer Finsternis entrissen werden.“ Es war der unvergessliche Johannes XXIII., der bald nach seinem Amtsantritt 1958 diese liturgische Beschimpfung – anders kann man das nicht nennen – beseitigen ließ.
Nicht erst seit dem historischen Schuldbekenntnis aus dem Jahr 2000 wissen wir, dass die Kirche verblendet war, wenn sie ungeachtet ihrer jüdischen Wurzeln das Volk Israel in kollektiver Weise denunziert hat. Die französischen Bischöfe schrieben im Jahre 1997: „Im Urteil der Historiker ist es eine unbestrittene Tatsache, dass bis zum II. Vatikanischen Konzil unter katholischen Christen eine antijüdische Tradition vorherrschte, die auf verschiedenen Ebenen die Lehrmeinung und die Lehre der Kirche, ihre Theologie, ihre Predigt und Liturgie bestimmte. Auf diesem Boden gedieh die giftige Pflanze des Judenhasses, und von daher gibt es ein schweres Erbe mit Folgen, die kaum zu beseitigen sind – gerade in unserem Jahrhundert.“
Heute nun, da wir den Weihetag der Lateranbasilika mal wieder an einem Sonntag begehen, fällt mir das Wort von Dietrich Bonhoeffer ein, der sagte: „Nur, wer für die Juden schreit, darf Gregorianik singen!“ Damit wollte er nichts anderes zum Ausdruck bringen als, dass die Kirche mit der gleichen Inbrunst, mit der sie ihre Liturgie feiert – die ja voll ist von Texten und Psalmen aus dem Alten Testament, das uns mit diesem Volk so eng verbindet – dass sie mit der gleichen Inbrunst für die Juden hätten eintreten müssen, zu denen „Gott, der Herr, als erstes gesprochen hat“ – wie es Gott-sei-Dank in der erneuerten Karfreitagsfürbitte heißt.
Der 9. November – ein eigenartiger Tag. Festtag einerseits – Gedenktag andererseits. Nehmen wir ihn zum Anlass darüber nachzudenken, dass 25 Jahre Mauerfall uns auch verpflichten, daran zu denken, was Mitauslöser der Teilung war – die Herrschaft des Nationalsozialismus und seines unmenschlichen Verbrechens am jüdischen Volk. Für uns Christen und für uns als deutsche Kirche kann das nur heißen, nie mehr die unlösbare Verbindung von Christen und Juden zu bestreiten und uns immer dann schützend vor sie zu stellen, wo immer der unausrottbar scheinende Antisemitismus sie erneut bedroht. Und es gilt: Alle menschenverachtenden Ideologien, selbst wenn sie von Juden kommen, müssen auf unseren ernsthaften Widerstand stoßen, auch und erst recht, wenn sie sich religiös verbrämen oder gar in unseren eigenen Reihen zu finden sind. Das mehr als selbstkritische Evangelium von der Tempelreinigung, welches wir heute an diesem Festtag gehört haben, sollte uns dabei mehr als zu denken geben. Amen.

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