L II: 1 Joh 5, 1-9 / Ev.: Mk 1, 7-11
Schwestern und Brüder!
Heute endet ganz offiziell – zumindest liturgisch gesehen – die Weihnachtszeit. Das Fest ist passé. Aber war’s das wirklich? Geht diese Festzeit sang- und klanglos vorbei und zu Ende? Manch eine oder einer wird denken: Hör mir endlich mit Weihnachten auf. Die Stimmung ist doch eh schon längst verschwunden, auch wenn ihr sie in der Kirche immer noch zur Sprache bringt. Und ich meine: Ja, jetzt geht es um die „Risiken und Nebenwirkungen“ dieses Festes, um die Nachhaltigkeit dieser Botschaft aus den vergangenen Festtagen – es geht um eine geistliche Bilanz. Wie weit sind wir denn unserem Gott entgegengekommen? Konnte er sich uns annähern? Haben wir ihn weitergeschenkt wie Maria – oder haben wir ihn für uns behalten, ihn gar so einfach wieder weggepackt, wie so manches Geschenk, mit dem wir nichts anzufangen wussten? Ist irgendetwas geblieben von der Wucht und Einzigartigkeit dieses Festes, vom großen Staunen, von der Rührung der Lieder? Was hat Weihnachten mit uns gemacht – mit Ihnen und mir?
Die Antwort darauf, muss jede und jeder von uns selber geben bzw. sie mit Gott ausmachen. Er allein weiß, ob er bei Ihnen oder bei mir wirklich angekommen ist. Er allein hat mitbekommen, wie ich mich ihm angenähert habe oder ob ich auf Distanz geblieben bin; ob ich seine Botschaft gehört und vernommen habe und mich tatsächlich ändern will – oder ob ich immer noch die oder der Alte geblieben bin und auch weiterhin bleiben werde. Da kommt mir der Gedanke: Werde ich wirklich jemals das einholen, was ich seit der Taufe bin: ein Kind Gottes? Ja, wenn ich das doch nur von Herzen glauben könnte, dass ich die von Gott geliebte Tochter, der von Gott geliebte Sohn bin. Das Taufwasser trocknet diesbezüglich oft so schnell auf der Haut des Täuflings. Und genauso weiß der Gott der Weihnacht, wie rasch sich die Freude über das Fest abnützt, wie schnell mein Glaube staubig und welk werden kann, wie leicht sich der Mehrwert der Freude in vergessliche Gleichgültigkeit, in ein griesgrämiges Weiter-So oder in kirchliche Selbstbeschäftigungsmentalität verwandeln kann. Da ist es ganz schnell passiert, dass der unendlich nahe Gott wieder in den Hintergrund tritt – ganz so, wie die Krippen und das dazugehörige Personal jetzt wieder ihren Weg in das Dunkel der Schränke antreten…
Aber bleiben wir mit unseren Gedanken und Überlegungen nicht nur an uns hängen, sondern wenden wir uns Jesus zu. Heute feiern wir ja ein Fest, das ihn allein – oder besser gesagt – allein ihn und den Vater angeht. Er, der bisher im Verborgenen lebte, nimmt heute ein sogenanntes „Bad in der Menge“. Allerdings erscheint er dabei nicht wie ein Mächtiger oder ein Promi unserer Tage. Nein, sein Bad in der Menge ist kein Paukenschlag, sondern er wird einfach einer von vielen und – was dann nur die Augen des Glaubens wahrnehmen – einer für die Vielen. Zum ersten Mal kommt er ans Licht der Öffentlichkeit. Der Evangelist Markus, der sich – ganz anders als wir – Weihnachten sehr wohl ohne Krippe, Hirten und Magier vorstellen konnte, dieser Markus lässt Jesus quasi erst heute zur Welt kommen. Bei ihm öffnet sich das kurze Zeitfenster des Wirkens Jesu erst jetzt. Doch bevor Jesus das „Schweigen“ der Kindheit und Jugend, all der Jahre in Nazareth bricht, steht er geduldig in der Warteschlange, bis er das Bad im schlammigen Jordanfluss nehmen kann. Wer von all den Umstehenden bekommt schon mit, dass Jesus damit in Wahrheit in ihre und auch meine Tiefen und Untiefen hinabsteigt? In ihre und meine Abgründe und Traurigkeit? In all die Überforderung, Schuld und Verzweiflung? Das alles sieht nur der „Himmel“. Und von diesem spricht Markus in der Mehrzahl: Die Himmel spalten sich.
Die „offenen Himmel“ – das ist für mich wie ein anderes Wort für den „offe-
nen Gott“. Oder anders gesagt: Die Taufe Jesu ist die Antwort auf die ad-
ventliche Bitte: „O Heiland reiß die Himmel auf!“ Und wie Weihnachten geschieht auch die Taufe Jesu draußen. Das passt. Denn der dreifaltige Gott ist großräumig; und wir alle – ja die ganze Menschheit liegt ihm am Herzen. Das heutige Fest macht so aber einen ganz gewaltigen Strich durch so manche geheimen kirchlichen Besitzansprüche. Jesus gehört niemandem von uns; er gehört einzig und allein dem Vater, der heute zu ihm sagt: „Du bist mein geliebter Sohn!“ Anders als ein Papst wurde Jesus nicht in einem Konklave (also im eingeschlossen oder eingesperrt sein) von wenigen oder gar vom Volk zum Messias gewählt, sondern er wurde vom Himmel, von Gott her einstimmig erwählt. Ja, heute bekennt sich der Vater zum Sohn und nur der Sohn bekommt diese Liebeserklärung mit – und: die vom Geist Gottes und seinem eigenen Glauben gespitzten Ohren und Gedanken des Evangelisten. Allerdings gibt der Vater uns den Sohn als Geschenk, als Gabe zum Weitergeben. Er lässt Jesus die kurze „Lebensreise“ antreten, die ihn ans Kreuz führen wird.
Die Kirche also hat kein exklusives Nutzungsrecht an Jesus Christus. Und es gibt auch kein noch so frommes oder seliges Besitzgefühl von Jesus – weder wenn der Priester die Wandlungsworte spricht, noch – wenn sie oder ich – als Kommunizierende, den Herrn in den Zeichen von Brot und/oder Wein empfangen. Nein, Jesus lässt sich nicht einsperren. Er lässt sich nicht exklusiv gebrauchen; und er bleibt auch nicht auf Krippe, Nazareth und Kreuz, auf Tabernakel und fromme Seelen beschränkt. Die reale Begegnung mit ihm ist jederzeit möglich und überall ist mit ihm zu rechnen. Er lässt sich nicht von der eigenen „heiligen Familie“ vereinnahmen und seinen riskanten Weg in seinem Erwachsenen-Dasein beginnt er ohne jegliches Sicherheitsnetz. Ja, er ist durchaus als abenteuerlich, unvorsichtig und verschwenderisch zu bezeichnen. Aber die einmal weihnachtlich geöffneten Himmel, die gehen eben auch nicht wieder zu. „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis!“: Das gilt und das bleibt! Und ich hoffe und wünsche mir nur, dass diese Tür von der Lehre der Kirche und von uns kirchlichen Mitarbeitern nicht zu eng, nicht zu elitär und exklusiv betrachtet und beschrieben wird. Der Eingang zum Himmel ist kein Checkpoint, an dem wir von Gott quasi auf „Herz und Nieren“ geprüft bzw. mit Nachdruck in seinen Lebensraum gedrängt werden, sondern der Himmel steht allen Menschen offen, die ihn in Freiheit und Liebe betreten möchten.
Und noch ein Gedanke: Die großen Ereignisse des Glaubens, die fanden immer draußen statt und nicht in geschlossenen oder sogenannten heiligen Räumen. Alles öffentlich, ohne strenge Geheimhaltung, ohne Betriebsgeheimnis. Die Taufstelle am Jordan und die Wüste, das sind quasi nur so etwas wie Transitorte für Jesus. Denn er ist – anders als der Täufer Johannes – kein Wüsteneremit; er ist vielmehr ab heute, ab diesem Ereignis auf dem Kreuzweg – für jede und jeden von uns – für jeden Menschen. Denn Gott, der sich zu Jesus bekennt, der weitet den Liebesraum: All die vielen Menschen, alle mit Namen und Gesicht, alle mit Herkunft und Zukunft – Gott räumt ihnen einen Platz bei und in sich ein. Und deshalb will dieses weihnachtliche Handeln Gottes uns allen auch die Augen dafür schenken, das Leben nicht für zu selbstverständlich zu nehmen. Wir verdanken es Ihm, dass wir sind und dass ein Himmel da ist, der offen ist für alle.
Wie hat mich mal jemand gefragt: Meinen Sie, dass alle Menschen im Himmel Platz haben? Und ich kann nur sagen: Ich hoffe, dass wir alle Platz haben vor ihm und bei ihm. Ja, dass er uns allen die Platzangst nimmt, die uns diesbezüglich oft umtreibt. Denn die Menschwerdung Gottes im Engpass eines kleinen Menschenlebens geschah doch nur, damit wir alle Platz finden in seinem Lebensraum. Gott ist das Gegenteil von Enge und Einschließungen. Ich kann ihn nicht umzäunen, ihn nicht bewegungslos machen und fixieren – weder auf Krippe, noch auf Kirchenraum, noch auf ein noch so from-
mes Herz.
Dieser, unser Gott, ist spannungsreich – ohne Zweifel. Aber er ist auch treu und seine Zusage ein ewiges Geschenk. Wenn er heute auch uns in Erinnerung ruft: Du bist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn, dann weiß ich, dass meine Lebensgeschichte auch eine Geschichte mit Gott ist, und dass mein Lebensweg auch immer ein Weg ist, den er, Gott selbst, begleitet. Mit einem offenen Himmel und mit bergenden Armen und Händen, mit denen er mich durch Menschen, die mir begegnen, hält. Amen.
Predigt zur Taufe des Herrn 2015 (11.01.)
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