Donnerstag, 24.11.11

Andrea Bolz, Deutschsprachige Katholische Gemeinde Puerto de la Cruz

Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!

Haben sie letzte Nacht geträumt? Und können sie sich noch an ihren Traum erinnern? Eigentlich ist diese Frage überflüssig. Wir alle wissen, und die moderne Traumforschung stellt dies ja auch fest: Jeder Mensch träumt jede Nacht, und das mehrmals. Allerdings ist die Erinnerung an einen Traum eher die Ausnahme. Das Schöne daran ist: Es macht nichts aus, ob ich mich an einen Traum erinnern kann oder nicht. Ein Traum erfüllt auf jeden Fall eine Reihe von Aufgaben.
Träumen bei Kindern ist entscheidend für die Entwicklung des Gehirns. Erwachsene tanken beim Träumen neue Reserven für das Denkvermögen. Ein Traum hilft uns, Erlebnisse und Probleme zu verarbeiten. „Schlaf erst mal eine Nacht drüber!“ Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie sinnvoll dieser Hinweis ist.
Trotz aller modernen Wissenschaft – Träume haben immer etwas Geheimnis-volles an sich. Sie sind unserem direkten Einfluss entzogen. Deshalb spielen Träume auch im religiösen Leben eine große Rolle.
Meine liebste Traumgeschichte steht im Buch Genesis, im Alten Testament. Jakob ist auf der Flucht vor seinem Bruder, den er betrogen hat. Er hat Angst, fühlt sich verlassen, allein und schuldig. Da träumt er eines Nachts mitten in der Wüste von einer Leiter, die vom Himmel her auf die Erde gestellt wurde. Engel steigen auf dieser Leiter auf und ab. Dann zeigt sich ihm Jahwe, sein Gott, und gibt ihm ein schönes Versprechen: „Ich bin mit dir, ich werde dich behüten, wohin du auch gehst.“
Was diese Traumgeschichte zeigt, finde ich auch für uns wichtig. In der Fähigkeit zu träumen wird dem Menschen eine Himmelsleiter geschenkt. Eine Himmelsleiter, die wir Menschen uns nicht zimmern können. Sie wird vom Himmel her auf die Erde gestellt und eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten.
Engel, die auf und absteigen, nehmen unsere Sorgen und Fragen mit, heben uns heraus aus der Enge des Alltags, bringen uns die eine oder andere Ahnung vom Himmel. Jakob erfährt in seinem Traum: ich bin bei aller Einsamkeit nicht allein. Er ist überrascht, aber auch sicher: Hier, wo ich mich in dieser Nacht zur Ruhe gelegt habe, wohnt Gott. Deshalb nimmt er den Stein, auf dem er geschlafen hatte, und stellt ihn dort zur Erinnerung auf. Da fällt mir dann mein Kopfkissen ein – ist es nicht auch so ein Ort, der meine Erinnerungen und meine Träume in sich trägt?
Ich denke schon und ich erlebe es immer wieder: Meine Fähigkeit zu träumen ist für mich ein Geschenk. Es eröffnet mir – auf geheimnisvolle Weise – Wege zu mir selbst und zu Gott.