Predigt in der Heiligen Nacht 2014

L I: Jes 9, 1-6 / Ev.: Lk 2, 1-14
Liebe in Festtagsstimmung versammelte Schwestern und Brüder!
Ist es wirklich eine Festtagsstimmung, die wir heute hier miteinander erleben? Da versammeln wir uns, um die Geburt eines kleinen Kindes, unseres Gottes zu feiern der Mensch wird, und da draußen spielt die Welt verrückt. Mord und Totschlag wohin man schaut, Terrorwarnungen und Krisenstimmungen um den halben Globus. Eine Hiobsbotschaft jagt die andere und Naturkatastrophen greifen mehr und mehr um sich. Erlebt man eigentlich wirklich nichts anderes mehr, als dass wir uns gegenseitig das Leben auf und in dieser Welt schwer machen?
Manchmal beschleicht mich das Gefühl, wir bräuchten so etwas wie eine Schlichtung für das, was da in der Welt so passiert. Da müsste es jemanden geben, der sich hinsetzt, alle Parteien auf Augenhöhe versammelt, hinhört – abwägt und am Ende dann einen Schlichterspruch fällt. Einen Schlichterspruch der uns allen dann zeigt, wie es gehen könnte, damit die Welt und das Leben in ihr wirklich wieder funktioniert. Aber hatten wir so etwas nicht schon? Ist uns da nicht schon einer auf Augenhöhe entgegengekommen, hat sich selbst ein Bild gemacht und das Leben mit allem, was es ausmacht, kennengelernt, mit uns geteilt und uns genau gesagt, was letztlich Sache ist und wie es gehen kann? Mit dem Ereignis, das wir heute feiern, hat diese Schlichtung begonnen. Es ist der menschgewordene Gottessohn, der uns alle an seinem Tisch versammelt, damit wir Menschen werden, die endlich anfangen miteinander – und nicht gegeneinander diese Welt zu gestalten. Seine Schlichtung hat längst stattgefunden und seinen Schlichterspruch haben wir schon längst vernommen. Es soll Friede sein auf Erden.
Und manchmal, manchmal da hat es ja auch tatsächlich funktioniert – und
sei es nur im Kleinen. Denken wir nur mal an den Krieg, der vor 100 Jahren begann und den man auch den 1. Weltkrieg nennt. In diesem ersten Kriegsjahr 1914 da begrüßen sich ein schottischer, ein französischer und ein deutscher Offizier an Weihnachten mit den Worten: Merry Christmas! Joyeux Noel! Frohe Weihnachten! Wohlgemerkt – diese Männer sind nach der Politik ihrer Regierungen Feinde. Aber hier, an der Westfront, da liegen sich die Truppen dieser Länder schon seit Monaten in einem tödlichen Kampf gegenüber. Nach der anfänglichen Kriegsbegeisterung sind die Männer müde und ausgelaugt. Und dann ereignet sich da so etwas wie ein kleines Wunder: Die einfachen Soldaten auf beiden Seiten haben sich mit Zettelchen und Zeichen verständigt und einen inoffiziellen Waffenstillstand vereinbart. Und dieser Waffenstilstand breitet sich aus. Am Heiligen Abend und an den darauffolgenden Weihnachtstagen schweigen die Waffen auf fast 80 Kilometer Frontverlauf. Weihnachten als ganz existenzielles Wunder – als Friede mitten im Krieg.
In dem Kinofilm „Merry Christmas“ wird diese wahre geschichtliche Begebenheit, die als Weihnachtsfrieden von 1914 in die Geschichtsbücher eingegangen ist, sehr emotional eingefangen. Ein Film, den zu sehen es sich wirklich lohnt, auch und gerade weil er unsere Gefühlsebene anspricht. Ein deutscher Soldat, im Zivilberuf Opernsänger, singt über die Schützengräben hinweg „Stille Nacht, heilige Nacht“. Ein schottischer Dudelsack stimmt mit ein, und dann werden die Gesichter der Soldaten gezeigt. Sie sind berührt, betroffen, die Melodie dringt in ihr Herz. Nein, hier hat der Krieg keinen Platz mehr. Als deshalb die Heeresleitungen der verfeindeten Parteien von dieser unerhörten Verbrüderung Kenntnis erhalten, bleibt für sie nur noch die Konsequenz, ganze Truppenteile zu verlegen. Denn: Wer sich kennt, wer zusammen von Angesicht zu Angesicht diese Nacht gefeiert und an das Kind in der Krippe gedacht hat, so jemand kann nicht mehr voller Hass auf den anderen, der ja auch diese Gefühl erlebt, schießen. So bleibt dieser kurze Weihnachtsfriede von 1914 nur ein kleines Wunder; ein Wunder, das mutwillig wieder von Menschen zerbrochen wurde.
Aber in der kurzen Sequenz dieses Friedens zeigt sich die Art und Weise, wie Gott an uns handelt. Dass uns mitten im Angesicht des Grauens Menschlichkeit ermöglicht wird. Im tiefsten Dunkel möchte dieser Gott Menschen für sich und seine Botschaft gewinnen und sie dabei aus Hass und Verblendung befreien. Doch Gott zwingt nicht. Er lässt uns die freie Entscheidung. Und doch ruft er uns immer wieder zu: Mensch, lass Dich von mir und meiner Botschaft ergreifen.
Im Geschehen von Bethlehem hat sich so ein neuer Weg für uns Menschen aufgetan. Ein Weg, den nicht wir uns ausgedacht haben, denn so etwas Unwahrscheinliches wie das, was da in Bethlehem begonnen hat, das können sich Menschen gar nicht ausdenken – ja das träumen sie nicht einmal. Kein geringerer als der große Philosoph Ernst Bloch, Lehrstuhlinhaber in Leipzig und später Gastprofessur in Tübingen, wo er auch verstarb, hat Zeit seines Lebens diese Theorie vertreten: In diesem, unter so armseligen Umständen begonnen Weg in Bethlehem, da kannst du keine Traumgeschichte entdecken. Deshalb, so sagte er, nehme ich mein Prinzip Hoffnung auch woanders her, als aus der Menschwerdung dieses christlichen Gottes. Und dann hat er geschrieben: „Am Anfang der Stall und am Ende der Galgen – diese Geschichte Jesu erfindet keine Legende.“ Und weil es keine Legende ist, bekennen und glauben wir Christen: Hier ist Gott selbst am Werk. Hier geht Gott seinen für uns so unglaublichen Weg. Mit armen Hirten und zwei Menschen, deren Kind auf Stroh gebettet wird, da beginnt diese unglaubliche Lebens- und Liebesgeschichte mit uns.
Lassen Sie mich das anhand einer kleinen Weihnachtsgeschichte aus Brasilien noch etwas verdeutlichen:
„Die Hirten sind gekommen und dann wieder gegangen. Vielleicht haben sie damals Geschenke mitgebracht, aber gegangen sind sie mit leeren Händen. Doch ein ganz junger Hirte hat von der Krippe etwas mitgenommen und hat es fest in der Hand gehalten. Die anderen haben es zunächst gar nicht bemerkt, bis auf einmal einer sagte: „Was hast du denn da in deiner Hand?“ – „Einen Strohhalm“, sagte der junge Hirt, „einen Strohhalm aus der Krippe, in der das Kind gelegen hat.“ – „Einen Strohhalm“, lachten da die anderen, „aber das ist doch Abfall. Wirf das Zeug weg.“ Doch der junge Hirte schüttelte nur seinen Kopf. „Nein“, sagte er, „den behalte ich. Für mich ist das ein Zeichen, ein Zeichen für dieses kleine Kind. Jedes Mal, wenn ich diesen Strohhalm in der Hand halten werde, dann werde ich mich an das Kind erinnern und daran, was die Engel von diesem Kind gesagt haben.“
Am nächsten Tag fragten die anderen Hirten ihn: „Hast Du den Strohhalm immer noch?“ Wirf ihn endlich weg, das ist wertloses Zeug.“ Aber der Hirte antwortete: „Das ist nicht wertlos. Da hat das Kind Gottes darauf gelegen.“ – „Na und?“, lachten die anderen, „das Kind ist wertvoll, da hast du recht, aber doch nicht das Stroh!“ – „Da habt ihr Unrecht““, sagte der Hirte, „das Stroh ist schon wertvoll. Denn worauf hätte das Kind denn liegen sollen, arm wie es ist? Nein, mir zeigt dieser Strohhalm, dass Gott das Kleine und Wertvolle liebt. Und das heißt für mich: Er braucht auch uns – Dich und mich – Menschen, die gar nicht so viel können, die in den Augen der anderen oft gar nicht viel wert sind.“
So war der Strohhalm aus der Krippe dem Hirten so wichtig. Wieder und wieder nahm er ihn in die Hand; dachte an die Worte der Engel und freute sich darüber, dass Gott die Menschen so liebt, dass er selbst ein Mensch wurde. Eines Tages aber nahm ihm einer der anderen Hirten den Strohhalm weg und schrie wütend: „Du machst mich ganz verrückt mit deinem blöden Stroh!“ Er nahm den Halm zerknickte ihn wieder und wieder und warf ihn in eine Ecke. Der junge Hirte aber stand ganz ruhig auf, strich ihn wieder glatt und sagte zu dem anderen: Sieh doch – er ist geblieben, was er war: ein Strohhalm. Deine ganze Wut hat daran nichts geändert. Sicher, es ist leicht einen Strohhalm zu knicken – und du denkst: was ist schon ein Kind, wo wir doch einen starken Helfer brauchen. Aber ich sage Dir: Aus diesem Kind wird ein Mann, und der wird nicht totzukriegen sein. Er wird die Wut der Menschen aushalten, ertragen und bleiben, was er ist: Gottes Retter für Dich und mich – Gottes Liebe zu uns! Und diese Liebe, die ist nicht kleinzukriegen.“ Amen.

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