Zündfunke, 10.03.15

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Ich kann mich noch erinnern, verehrte Hörerinnen und Hörer, wie ich mich nach dem Geburtstag von Annika erkundigt hatte. „Super war’s, einfach super“, hat sie mir dann erzählt und sie sprudelte die Liste der Geschenke hervor, die sie bekommen hatte. Immerhin war sie 18 geworden und ihre Familie hatte sich da nicht lumpen lassen. „Doch am schönsten war die Postkarte von Frau Müller“, sagte sie mir dann am Schluss. „Das war meine Grundschullehrerin. Stell Dir vor, die hat mir geschrieben. Dass die noch an mich denkt? Also das hat mich irgendwie doch sehr berührt.“
Ich kenne das auch an mir. Wenn jemand einfach so an mich denkt, ganz unvermutet, ohne besonderen Grund, dann ist das einfach wunderbar. Nur – der oder die andere muss mich das auch merken lassen. Denn das Denken allein kann ich ja nicht wahrnehmen, geschweige denn spüren. Die Postkarte zum Geburtstag, die freundliche Nachfrage: Wie war Dein Gespräch gestern? Oder auch: Komm, ich helf’ Dir beim Tragen – das alles sind Aufmerksamkeiten, die mir zeigen: Da sieht mich jemand, da nimmt mich jemand wahr, wie es mir gerade geht. Da möchte mir jemand was Gutes tun. Das ist schön. Und wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir uns doch eingestehen, dass vieles anders wäre, wenn wir so miteinander umgehen würden – aufmerksam!
„Aufmerksamkeit ist der Kern der guten Manieren“, hab ich mal irgendwo gelesen. Und diese Erkenntnis ist einleuchtend. Von einem höflichen Menschen sagt man ja auch: Der ist sehr aufmerksam. Bei Höflichkeit und Manieren geht es nicht darum, ob man die Hände in den Taschen hat, ob man weiß, mit welchem Messer man die Vorspeise zu essen hat oder ob man als Mann nun rechts oder links der Dame gehen muss. Es geht vielmehr darum, dass ich sehe: Wie geht es dem anderen? Was kann ich für die Frau, den Mann neben mir tun? Eben nicht nur sich selber, sondern den anderen in den Mittelpunkt stellen. Das ist der Kern, und wenn der stimmt, dann kommen die guten Manieren ganz von selbst. Und dann wird auch das Zusammenleben leichter, freundlicher, manchmal sogar liebevoller.
Das Buch schließt übrigens mit der Bemerkung, Jesus sei der Mensch mit den besten Manieren gewesen. Ein Vorbild also auch in dieser Hinsicht. Denn Jesus hat ja ganz klar zu seinen Jüngern gesagt: „Ich bin nicht gekommen, um mich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen.“ Den anderen in den Mittelpunkt stellen. Aufmerksam sein für die Menschen um mich herum. Gute Manieren. Annika hat mit ihrer unerwarteten Postkarte zum Geburtstag erlebt, wie gut das ist. Also sage mir niemand, dass die Jugend von heute kein Gefühl für gute Manieren besäße.

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